Erstattungsansprüche – Ausgleich zwischen Krankenkassen und Unfallversicherungsträgern


Neben der Erstattung von Aufwendungen aus einem Auftragsverhältnis (vgl. § 91 SGB X) finden sich Anspruchsgrundlagen für einen Erstattungsanspruch in §§ 102 ff. SGB X. Die Vorschriften bilden die Grundlage für einen selbstständigen, von einem Sozialleistungsanspruch losgelösten eigenständigen („originären“) Anspruch öffentlich-rechtlicher Verwaltungsträger.

Für die Beziehungen zwischen Krankenkassen und Unfallversicherungsträgern sind die Vorschriften über den Anspruch des vorläufig leistenden Leistungsträgers (vgl. § 102 SGB X) und den Anspruch des unzuständigen Leistungsträgers (vgl. § 105 SGB X) bedeutsam.

Anspruch des vorläufig leistenden Leistungsträgers

Der vorläufig leistende Leistungsträger erhält eine Erstattung seiner Leistungen, wenn er aufgrund gesetzlicher Vorschriften (vgl. § 43 SGB I) vorläufig geleistet hat (vgl. § 102 Abs. 1 SGB X). Der Umfang richtet sich nach den für den vorläufig leistenden Leistungsträger geltenden Vorschriften (vgl. § 102 Abs. 2 SGB X) und geht damit  über die eigentliche Leistung des Erstattungspflichtigen Leistungsträgers hinaus.

Voraussetzung für die Anwendbarkeit ist, dass die Krankenkasse oder der Unfallversicherungsträger in Kenntnis der eigenen Zuständigkeit aufgrund einer gesetzlichen Vorleistungsregelung geleistet hat. Eine nachträgliche Umdeutung einer irrtümlichen Leistungsgewährung ist damit ausgeschlossen. Sachverhalte, in denen sich nachträglich die Zuständigkeit eines anderen Trägers herausstellt, begründen deshalb keinen Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X.

Anspruch des unzuständigen Leistungsträgers

Ein unzuständiger Leistungsträger, der irrtümlich geleistet hat, erhält eine Erstattung nach § 105 SGB X. Der Erstattungsanspruch ist an folgende Voraussetzungen geknüpft:

  • Die Leistung wurde in der Annahme der eigenen Zuständigkeit und in der Absicht erbracht, endgültig und nicht vorläufig i. S. des § 105 Abs. 1 SGB X (z. B. wegen ungeklärter Zuständigkeit nach § 43 Abs. 1 Satz 1, 2 SGB I) zu leisten.
  • Die Leistung wurde ohne Kenntnis der Verpflichtung des zuständigen Leistungsträgers erbracht.

Erstattungsfähig sind gleichartige und gleichzeitige Leistungen, wobei sich der Umfang des Erstattungsanspruchs nach den für den erstattungspflichtigen Sozialleistungsträger geltenden Vorschriften richtet.

Der Erstattungsanspruch ist ausgeschlossen,

  • wenn der zuständige Leistungsträger bereits selbst (mit befreiender Wirkung) geleistet hat,
  • der Erstattungsanspruch gegen Treu und Glauben verstößt oder
  • die Voraussetzungen des § 102 SGB X gegeben sind.

Rangfolge mehrerer Erstattungsberechtigter

Treffen mehrere Erstattungsanspruch zusammen, ist die sich aus § 106 SGB X ergebende Rangfolge zu beachten.

Erfüllungsfiktion

Der Anspruch des Berechtigten auf eine Sozialleistung gilt im Rahmen des Erstattungsanspruchs als erfüllt (vgl. § 107 Abs. 1 SGB X). Nach dieser Vorschrift gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht. Diese Erfüllungsfiktion tritt gegenüber dem Inhaber eines Anspruchs gegen einen Sozialleistungsträger demnach ein, wenn diesem im Hinblick auf die betreffende Sozialleistung gegen einen anderen Leistungsträger ein Erstattungsanspruch i. S. der §§ 102 bis 105 SGB X zusteht. Dadurch wird eine Verknüpfung zwischen den Ansprüchen des Berechtigten gegen einen Sozialleistungsträger und dem davon an sich unabhängigen Anspruch des vorleistenden Trägers auf Erstattung gegen den eigentlich verpflichteten Leistungsträger in der Weise hergestellt, dass der Anspruch des Berechtigten als erloschen gilt und damit Doppelleistungen aus öffentlichen Kassen vermieden werden.

Ausschlussfrist

§ 111 Satz 1 SGB X

Der Erstattungsanspruch der Krankenkasse ist innerhalb von zwölf Monaten nach Ablauf des Tages geltend zu machen, für den die Leistung erbracht wurde (vgl. § 111 Satz 1 SGB X; vgl. Bsp. 26). Es handelt sich um eine materielle Ausschlussfrist, die von Amts wegen zu beachten ist.

Beispiel

Eine Krankenkasse zahlt aufgrund einer Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 2. Februar bis zum 19. Mai 2012 Krankengeld. Krankengeld für diesen Zeitraum wird letztmalig am 23. Mai 2012 gezahlt. Es stellt sich nachträglich heraus, dass ein Arbeitsunfall die Ursache für die Arbeitsunfähigkeit war. Die Krankenkasse hat einen Anspruch auf Erstattung gegen den Unfallversicherungsträger nach § 105 SGB X. Der Anspruch ist innerhalb der Ausschlussfrist geltend zu machen. Diese verläuft bis zum 19. Mai 2013. Da der 19. Mai 2012 ein Sonntag ist verlängert sich die Frist auf den nächstfolgenden Werktag (20. Mai 2013).

Anmerkung:

Für den Verlauf der Ausschlussfrist ist es unerheblich, an welchen Zeitpunkten das Krankengeld ausgezahlt wurde.

Der Unfallversicherungsträger beruft sich rechtsmissbräuchlich auf die Ausschlussfrist, wenn er die Krankenkasse absichtlich davon abgehalten hat, den Erstattungsanspruch rechtzeitig geltend zu machen. Das gilt auch, wenn der Unfallversicherungsträger die Pflicht zu enger Zusammenarbeit verletzt hat (vgl. §§ 86 ff. SGB X).

Die Pflicht zu enger Zusammenarbeit kann im Einzelfall verletzt sein, wenn absichtlich verhindert wird, den Erstattungsanspruch zu realisieren. Sie kann aber auch dann verletzt sein, wenn die Ursache auf einer offensichtlich mangelhaften Organisation von Arbeitsabläufen beim Unfallversicherungsträger beruht.

Beruft sich der Unfallversicherungsträger unter diesen Voraussetzungen auf die Ausschlussfrist, kann die Krankenkasse dem unzulässige Rechtsausübung unter Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. § 242 BGB) entgegen halten.

§ 111 Satz 2 SGB X

Der Lauf der Frist beginnt frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem die erstattungsberechtigte Krankenkasse von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Unfallversicherungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat (vgl. § 111 Satz 2 SGB V). Der Verlauf der Ausschlussfrist richtet sich nach diesem Zeitpunkt,

  • wenn der Unfallversicherungsträger tatsächlich über seine Leistungspflicht entschieden hat und
  • die Entscheidung der Krankenkasse nach dem Ende des Leistungszeitraums bekannt geworden ist.

Berechnung der Frist

Der Lauf der Frist wird durch ein Ereignis ausgelöst. Deswegen endet die Frist nach zwölf Monaten mit dem Tag, der der Zahl nach dem Ereignistag entspricht (vgl. § 26 Abs. 1 SGB X, §§ 187 bis 193 BGB; vgl. Bsp. 27). Die Frist verlängert sich auf den nächstfolgenden Werktag, wenn ihr Ende auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag fällt (vgl. § 26 Abs. 3 Satz 1 SGB X).

Beispiel

Eine Krankenkasse erfährt am 20. Mai 2012 von ihrer Berechtigung, einen Erstattungsanspruch geltend zu machen. Die Ausschlussfrist endet deswegen am 20. Mai 2013.

Geltendmachung des Erstattungsanspruchs

Der Erstattungsanspruch wird geltend gemacht, indem er behauptet und vorgebracht wird. Es ist nicht erforderlich, die Forderung gerichtlich geltend zu machen oder alle Einzelheiten darzulegen. Dabei muss der Wille erkennbar sein, rechtssichernd tätig zu werden. Eine „vorsorgliche“ Anmeldung reicht dazu nicht aus.

Der Unfallversicherungsträger muss bereits beim Zugang der Anmeldung des Erstattungsanspruchs ohne weitere Nachforschungen beurteilen können, ob die erhobene Forderung ausgeschlossen ist. Dies kann er ohne Kenntnis des Forderungsbetrages feststellen, wenn die Umstände, die im Einzelfall für die Entstehung des Erstattungsanspruches maßgeblich sind, und der Zeitraum, für den die Sozialleistungen erbracht wurden, hinreichend konkret mitgeteilt sind.

Der Erstattungsanspruch kann bereits geltend gemacht werden, bevor die Ausschlussfrist begonnen hat. Dazu genügen allgemeine Angaben, die sich auf die im Zeitpunkt des Geltendmachens vorhandenen Kenntnisse über Art und Umfang künftiger Leistungen beschränken.

Wirkung der Ausschlussfrist

Die Frist nach § 111 SGB X ist als materielle Ausschlussfrist konzipiert, die nach ihrem Zweck und der ihr zugrunde liegenden Interessenabwägung eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zulässt. Die Verfallswirkung des Fristablaufs tritt unabhängig davon ein, ob der Erstattungsberechtigte ohne Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten. Aus dem gleichen Grund ist es dem Erstattungsberechtigten regelmäßig verwehrt, dem Erstattungspflichtigen unter Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. § 242 BGB) den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenzuhalten; abgesehen davon gilt, dass der Ablauf der Ausschlussfrist von den Gerichten von Amts wegen und nicht nur (wie bei der Verjährung) auf Einrede hin zu beachten ist.. Die analoge Anwendung dieser Grundsätze käme allenfalls dann in Betracht, wenn der Erstattungsberechtigte absichtlich davon abgehalten wird, den Anspruch rechtzeitig geltend zu machen.

Verjährung

Erstattungsansprüche verjähren in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über dessen Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X).

Bild: Jorma Bork  / pixelio.de