Verwaltungsrat – Mitglieder haften für Schäden


540892_web_R_by_Andrea Damm_pixelio.deDie einzelnen Mitglieder des Verwaltungsrats einer Krankenkasse haften für Schäden, die durch die Wahrnehmung der Organwalterstellung entstehen. Sie haften sowohl gegenüber Dritten als auch gegenüber dem Versicherungsträger.

 Haftung gegenüber Dritten (Außenverhältnis)

Hoheitliches Handeln

Die Amtspflichtverletzung gegenüber Dritten ist in § 42 Abs. 1 SGB IV geregelt. Voraussetzung für einen Amtshaftungsanspruch ist hoheitliches Handeln eines Organmitglieds in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes, mit dem eine Amtspflicht gegenüber  einem Dritten vorsätzlich oder fahrlässig verletzt wird. Dabei steht einem  Dritte nur dann ein Schadensersatzanspruch zu, wenn die verletzte Amtspflicht den Zweck hat, gerade sein Interesse wahrzunehmen. Andere Personen haben keinen Anspruch auf Schadensersatz, selbst wenn die  Amtspflichtverletzung sich für sie mehr oder weniger nachteilig ausgewirkt hat. Es muss vielmehr eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht  und dem geschädigten Dritten bestehen.

Für die Anforderungen an das  Verschulden gelten die Grundsätze der privatrechtlichen Deliktshaftung. Nach  der Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB entfällt die  Ersatzpflicht, wenn das Organmitglied nur fahrlässig gehandelt hat und der geschädigte Dritte einen anderweitigen Anspruch auf Schadenersatz hat. Die Haftung wird weiterhin dadurch eingeschränkt, dass die Ersatzpflicht nicht eintritt, wenn der Dritte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.

Wenn die Haftungsvoraussetzungen vorliegen trifft die Verantwortung unmittelbar den Versicherungsträger, da nach Art. 34 GG dessen Haftung an die Stelle der Haftung des Organmitglieds tritt. Die fehlende Eigenschaft einer Krankenkasse, Dienstherr eines Beamten zu sein,  schließt die Haftung nicht aus. Der Schadenersatzanspruch ist auf Geldersatz gerichtet und im ordentlichen Rechtsweg zu verfolgen.

Teilnahme am allgemeinen Privatrechtsverkehr

Die Haftung eines Organmitglieds gegenüber Dritten aus privatrechtlichem Handeln ist nicht im Sozialgesetzbuch geregelt. Es gelten vielmehr die zivilrechtlichen Schadenersatzregelungen (vgl. z. B. § 823 BGB). Die Schadenersatzpflicht trifft regelmäßig den Versicherungsträger (vgl. §§ 89, 31 BGB), wenn das Organmitglied in seiner Eigenschaft als Vertreter des Versicherungsträgers tätig wurde, oder bei Vertragsverletzungen, wenn das Organmitglied als Erfüllungsgehilfe tätig war (vgl. § 278 BGB).

Haftung gegenüber dem Versicherungsträger (Innenverhältnis)

Die Haftung von Mitgliedern des Verwaltungsrats gegenüber der Krankenkasse regelt § 42 Abs. 2 SGB IV. Danach haften Organmitglieder für den Schaden, der dem Versicherungsträger aus einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verletzung der ihnen obliegenden Pflichten entsteht. Die Haftpflicht umfasst sowohl Schäden der Krankenkasse (Eigenschäden) als auch Schäden eines Dritten, für die der Versicherungsträger einstehen muss (Rückgriffshaftung). Die Regelung gilt für fiskalisches oder hoheitliches Handeln der Organmitglieder.

Pflichtverletzung

Die Pflichten des Verwaltungsrats ergeben sich aus dem Gesetz (vgl. u. a. § 197 Abs. 1 SGB V). Er hat insbesondere

  • die Satzung und sonstiges autonomes Recht zu beschließen,
  • den Vorstand zu überwachen,
  • alle Entscheidungen zu treffen, die für die Krankenkasse von grundsätzlicher Bedeutung sind,
  • den Haushaltsplan festzustellen,
  • über die Entlastung des Vorstands wegen der Jahresrechnung zu beschließen,
  • die Krankenkasse gegenüber dem Vorstand und dessen Mitgliedern zu vertreten,
  • über den Erwerb, die Veräußerung oder die Belastung von Grundstücken sowie über die Errichtung von Gebäuden zu beschließen und
  • über die Auflösung der Krankenkasse oder die freiwillige Vereinigung mit anderen Krankenkassen zu beschließen.

Daraus ergeben sich u. a. Kontroll- und Treuepflichten:

  • Der Verwaltungsrat wählt die Mitglieder des Vorstands (vgl. § 35a Abs. 5 SGB V). Er vertritt die Krankenkasse gegenüber dem Vorstand (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 SGB IV) und schließt deshalb mit dessen Mitgliedern den Dienstvertrag. Dabei sind insbesondere hinsichtlich der Vorstandsvergütung die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit zu beachten.
  • Der Verwaltungsrat überwacht den Vorstand (vgl. § 197 Abs. 1 Nr. 1a SGB V) und kann in diesem Zusammenhang sämtliche Geschäfts- und Verwaltungsunterlagen einsehen und prüfen (vgl. § 197 Abs. 2 SGB V). Dem entspricht die Berichtspflicht des Vorstands gegenüber dem Verwaltungsrat und seinem Vorsitzenden (vgl. § 35a Abs. 2 SGB IV; u. a. über die finanzielle Situation und deren voraussichtliche Entwicklung).
  • Der Verwaltungsrat stellt den Haushaltsplan fest (vgl. § 70 Abs. 1 Satz 2 SGB IV, § 197 Abs. 1 Nr. 2 SGB V) und entlastet den Vorstand wegen der Jahresrechnung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 2 SGB IV, § 197 Abs. 1 Nr. 3 SGB V).
  • Der Verwaltungsrat beschließt über den Erwerb, die Veräußerung oder die Belastung von Grundstücken sowie über die Errichtung von Gebäuden (vgl. 197 Abs. 1 Nr. 5 SGB V).
  • Der Verwaltungsrat beschließt u. a. die Satzung, die Bestimmungen über die Höhe des kassenindividuellen Zusatzbeitrags
    enthält (vgl. § 194 Abs. 1 Nr. 4, § 197 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Dabei ist der Zusatzbeitrag so zu bemessen, dass er zusammen mit den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds und den sonstigen Einnahmen die im Haushaltsjahr voraussichtlich zu leistenden Ausgaben und die vorgeschriebene Auffüllung der Rücklage deckt (vgl. § 242 Abs. 1, 3 SGB V). Eine Differenz zwischen den geplanten Einnahmen und Ausgaben muss zur Einführung eines Zusatzbeitrags führen.

Ein Verstoß gegen Treuepflichten kann neben haftungsrechtlichen Folgen auch einen Straftatbestand darstellen (Straftatbestand der Untreue; vgl. § 266 StGB).

Schaden

Das pflichtwidrige Verhalten muss zu einem Schaden führen. Zur Bezifferung des Schadens ist es erforderlich, die durch das pflichtwidrige Verhalten geschaffene Vermögenslage mit der zu vergleichen, die (hypothetisch) ohne das pflichtwidrige Verhalten bestanden hätte.

Verschulden

Verschulden im Sinne von § 42 Abs. 2 SGB IV ist auf Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit begrenzt (privilegierter Verschuldensmaßstab). Wegen fehlender Definitionen im Sozialgesetzbuch sind die allgemeinen Regelungen des BGB zugrunde zu legen (vgl. § 276 BGB).

Bei vorsätzlichem Handeln werden die Folgen der Pflichtverletzung zumindest billigend in Kauf genommen. Bedingter Vorsatz ist gegeben, wenn der für möglich gehaltene Erfolg zwar nicht gewünscht, aber im Rechtssinne gebilligt wird. Das ist der Fall, wenn sich der Handelnde letztlich mit dem Eintritt des Unrechtserfolgs abgefunden hat.

Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, schon einfachste und naheliegende Überlegungen nicht anstellt und nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten müsste. Dabei trifft den Handelnden auch in subjektiver Hinsicht ein schweres Verschulden.

Für die Annahme grober Fahrlässigkeit spricht, wenn ein Vorstand vor der Beschlussfassung des Verwaltungsrats darauf hinweist, dass aus finanziellen Gründen ein Zusatzbeitrag erforderlich ist. Allerdings sind bei der Festlegung des Verschuldensgrad u. a. die Unwägbarkeiten der tatsächlichen Finanzentwicklung (z. B. durch den RSA) sowie strategische Überlegungen wettbewerblicher Art zu berücksichtigen.

Individuelle Schadenersatzpflicht

Haftbar ist das einzelne Organmitglied. Zur Feststellung seiner rechtmäßigen Handlung hat jedes Organmitglied das Recht, bei Abstimmungen die Art seiner Stimmabgabe protokollieren zu lassen. Das ist bei geheimen Abstimmungen nicht möglich. In diesem Fall ist die Art der Stimmabgabe und damit die Frage der Haftung einzelner Organmitglieder nur bei einstimmigen Beschlüssen festzustellen.

Sind für den entstandenen Schaden mehrere Organmitglieder verantwortlich, ggf. gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Verwaltungsrats oder dem Vorstand, haften sie als Gesamtschuldner.

Rechtsweg

Für Streitigkeiten über die Haftung gegenüber der Krankenkasse ist der Sozialrechtsweg gegeben (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Es handelt sich um Streitigkeiten aus dem Organwalterverhältnis und damit um öffentlich-rechtliche Ansprüche in Angelegenheiten der Sozialversicherung.

Haftung des Vorsitzenden des Verwaltungsrats

Rechtswidrige Beschlüsse des Verwaltungsrats sind vom Vorsitzenden des Verwaltungsrats zu beanstanden, bzw. die Aufsichtsbehörde ist darüber zu unterrichten (vgl. § 38 i. v. m. § 33 Abs. 3 Satz 3 SGB IV). Den Vorsitzenden trifft also die gesonderte Amtspflicht, den Verwaltungsrat und seine Beschlüsse hinsichtlich der Beachtung von Recht und Gesetz zu kontrollieren. Ein Verstoß gegen diese Amtspflicht kann unter den o. g. Voraussetzungen zu einer Haftung führen.

Verzicht auf Schadensersatz

Auf Ersatz des Schadens kann die Krankenkasse nicht im Voraus verzichten; nach dem Eintritt des Schadens kann nur mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde auf den Anspruch verzichtet werden (vgl. § 42 Abs. 3 SGB IV). Der Abschluss einer Haftpflichtversicherung durch die Krankenkasse ist nicht zulässig, da eine entsprechende Ermächtigung im Sozialgesetzbuch fehlt. Es gilt allerdings als zulässig, eine Vermögensschadenversicherung für die Krankenkasse abzuschließen, die einen kostenfreien Verzicht des Versicherers auf Rückgriff bei den Mitgliedern des Verwaltungsrats enthält.

Foto: Andrea Damm  / pixelio.de

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