Ein Arbeitnehmer ist arbeitsunfähig, wenn er objektiv nicht oder nur mit der Gefahr einer gesundheitlichen Verschlechterung fähig ist, die ihm nach dem Arbeitsvertrag obliegende Arbeit zu verrichten. Arbeitsunfähigkeit (AU) ist die zentrale Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) sowie den Anspruch auf Krankengeld nach dem Sozialgesetzbuch V (SGB V). Sie ist begrifflich von der verminderten Erwerbsfähigkeit zu unterscheiden.
Rechtsgrundlagen
Wichtigste gesetzliche Regelung ist das EFZG. § 3 EFZG enthält den Begriff der Arbeitsunfähigkeit für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung. § 5 EFZG normiert die Anforderungen an die Anzeigepflichten des Arbeitnehmers. Seit dem 7.10.2020 ist unter bestimmten Umständen die AU-Diagnose per Video-Sprechstunde möglich. Ab dem 1.1.2021 wird durch § 5 Abs. 1a EFZG (n.F.) i.V.m. § 109 SGB IV die elektronische AU-Bescheinigung eingeführt.
Ab dem 1.1.2022 wird die Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem Arbeitgeber nur noch elektronisch nachgewiesen. Daneben ist das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) beim Zusammentreffen von Arbeitsunfähigkeit und Urlaub sowie das Mutterschutzgesetz (MuSchG) bei einer Arbeitsunfähigkeit während der dortigen Schutzzeiten zu beachten. Außerdem gibt es kollektivrechtliche Regelungen in Tarifverträgen. § 616 BGB ist bei einem Arztbesuch anzuwenden. § 275 SGB V betrifft die Beguachtung durch den Medizinischen Dienst.
Grundlage für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit durch Vertragsärzte und Krankenkassen ist die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung (AUR). Die Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Anspruch auf Krankengeld enthält § 44 Abs. 1 SGB V.
Der unbestimmte Rechtsbegriff der Arbeitsunfähigkeit wird für den Bereich des Sozialversicherungsrechts durch das Bundessozialgericht (BSG) ausgelegt (BSG, Urteil v. 25.2.2010, B 13 R 116/08 R). Für das EFZG ist die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) maßgeblich (BAG, Urteil v. 26.10.2016, 5 AZR 167/16 und BAG, Urteil v. 9.4.2014, 10 AZR 637/13).
Arbeitnehmer
Ein Versicherter ist arbeitsunfähig, wenn er aufgrund von Krankheit seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann. Bei der Beurteilung ist darauf abzustellen, welche Bedingungen die bisherige Tätigkeit konkret geprägt haben. Es wird ausdrücklich auf die zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit abgestellt. Der Versicherte ist auch bei einer stufenweisen Wiedereingliederung in das Arbeitsleben arbeitsunfähig. Dabei ist unerheblich, ob der Versicherte trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigung möglicherweise noch eine andere Tätigkeit ausüben kann.
Die Arbeitsunfähigkeit wird nicht durch die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses oder Meldung der Arbeitslosigkeit bei der Arbeitsvermittlung beendet. Der Versicherte gibt damit zwar zu erkennen, dass er sich für eine berufliche Neuorientierung öffnet und zu einem Berufswechsel bereit ist. Allerdings endet damit nicht der Bezug zur früheren Beschäftigung. Erst mit der tatsächlichen Aufnahme einer neuen beruflichen Tätigkeit wird die Arbeitsunfähigkeit beendet und die neue Tätigkeit zur Grundlage für die Beurteilung einer weiteren Arbeitsunfähigkeit.
Arbeitslosengeldbezieher
Arbeitslose sind arbeitsunfähig, wenn sie krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage sind, leichte Arbeiten in einem zeitlichen Umfang zu verrichten, für den sie sich bei der Agentur für Arbeit zur Verfügung gestellt haben. Dabei ist es unerheblich, welcher Tätigkeit der Versicherte vor der Arbeitslosigkeit nachging (BSG, Urteil v. 10.5.2012, B 1 KR 20/11 R). Die Befragung durch den Arzt bezieht sich bei Arbeitslosen auch auf den zeitlichen Umfang, für den der Versicherte sich der Agentur für Arbeit zur Vermittlung zur Verfügung gestellt hat.
Verweisungstätigkeit
Gibt ein Versicherter nach dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit die zuletzt ausgeübte Beschäftigung auf, ändert sich der rechtliche Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit. Es sind dann nicht mehr die konkreten Verhältnisse an diesem Arbeitsplatz maßgebend, sondern es ist abstrakt auf die Art der zuletzt ausgeübten Beschäftigung abzustellen (BSG, Urteil v. 12.3.2013, B 1 KR 7/12 R). Der Versicherte darf auf gleich oder ähnlich geartete Tätigkeiten verwiesen werden.
Handelt es sich bei der zuletzt ausgeübten Beschäftigung um einen anerkannten Ausbildungsberuf, scheidet eine Verweisung auf eine außerhalb dieses Berufs liegende Beschäftigung aus. Eine Verweisungstätigkeit innerhalb des Ausbildungsberufs muss, was die Art der Verrichtung, die körperlichen und geistigen Anforderungen, die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten sowie die Höhe des Entgelts angeht, mit der bisher verrichteten Arbeit im Wesentlichen übereinstimmen. Der Versicherte muss sie ohne größere Umstellung und Einarbeitung ausführen können. Dieselben Bedingungen gelten bei ungelernten Arbeiten, nur dass hier das Spektrum der zumutbaren Tätigkeiten größer ist, weil die Verweisung nicht durch die Grenzen eines Ausbildungsberufs eingeschränkt ist.
Versicherung
Die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger bei ihrer Krankenkasse bleibt während der Arbeitsunfähigkeit erhalten, solange Anspruch auf Krankengeld besteht (§ 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Voraussetzung für den Erhalt der Mitgliedschaft ist, dass der Anspruch auf Krankengeld innerhalb eines Versicherungsverhältnisses entsteht (BSG, Urteil v. 10.5.2012, B 1 KR 19/11 R). Die Arbeitsunfähigkeit muss also spätestens am letzten Tag eines Beschäftigungsverhältnisses ärztlich festgestellt werden (§ 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V). Bei einer Fortsetzungserkrankung ist ebenfalls die fristgerechte ärztliche Feststellung entscheidend (§ 46 Sätze 2, 3 SGB V).
Das Versicherungsverhältnis freiwillig versicherter Krankengeldbezieher wird durch die Arbeitsunfähigkeit nicht berührt.
Beschäftigungsverbote
Ein Beschäftigungsverbot nach dem Mutterschutzgesetz ist nicht als Arbeitsunfähigkeit anzusehen (§§ 3 ff. MuSchG, § 3 Abs. 2 AUR). Dies schließt allerdings nicht aus, dass während des Beschäftigungsverbots unabhängig von der Schwangerschaft Arbeitsunfähigkeit wegen einer Krankheit eintreten kann.
Beschäftigungsverbote nach dem Infektionsschutzgesetz sind ebenfalls keine Arbeitsunfähigkeit (§ 31 IfSG).
Bescheinigung des Arztes
Rückdatierung
Der behandelnde Arzt soll die Arbeitsunfähigkeit für eine vor der ersten Inanspruchnahme des Arztes liegende Zeit grundsätzlich nicht bescheinigen. Eine Rückdatierung des Beginns der Arbeitsunfähigkeit auf einen vor dem Behandlungsbeginn liegenden Tag ist nur ausnahmsweise nach gewissenhafter Prüfung und in der Regel nur bis zu 3 Tage zulässig (§ 5 Abs. 3 Satz 1, 2 AUR). Das gilt auch für eine rückwirkende Bescheinigung über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit. Der Bescheinigung kommt die Bedeutung einer ärztlich-gutachtlichen Stellungnahme zu. Sie bildet die Grundlage für die Entscheidung der Krankenkasse über den Anspruch auf Krankengeld.
Während der Entgeltfortzahlung
Vertragsärzte bescheinigen die Arbeitsunfähigkeit während der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber auf dem vereinbarten Vordruck (§ 5 AUR). Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als in der Erstbescheinigung angegeben, ist erneut eine ärztliche Bescheinigung über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit auszustellen. Eine Fortsetzungserkrankung ist spätestens am nächsten Werktag nach dem vorhergehenden Bewilligungsabschnitt ärztlich festzustellen und zu bescheinigen (§ 46 Satz 2 SGB V).
Vereinbarter Vordruck
Die Vertragsärzte bescheinigen die Arbeitsunfähigkeit auf einem verbindlich vereinbarten Vordruck. Das Formular ist sowohl während der Entgeltfortzahlung als auch während des Krankengeldbezugs zu verwenden. Darin ist anzugeben, ob es sich um eine Erst- oder Folgebescheinigung handelt.
Die Arbeitgeber werden ab 1.1.2022 am elektronischen Meldeverfahren beteiligt (§ 109 SGB IV). Die Krankenkasse stellt die elektronischen Meldedaten zur Verfügung. Der Arbeitgeber erhält einen elektronischen Hinweis, dass die Daten für ihn abrufbar sind. Das Verfahren gilt auch für geringfügig Beschäftigte. Die Minijob-Zentrale ruft die Arbeitsunfähigkeitsdaten von der zuständigen Krankenkasse ab, um das U1-Verfahren durchzuführen.
Während des Krankengeldbezugs
Während des Krankengeldbezugs wird die Arbeitsunfähigkeit vom Arzt ebenfalls durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung attestiert. Eine Folgebescheinigung ist spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit auszustellen (§ 46 Satz 2 SGB V). Der Vordruck dient sowohl als Auszahlungsschein als auch dem Nachweis der Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem Arbeitgeber.
Ab 1.1.2021 sind die Arbeitsunfähigkeitsdaten unter Angabe der Diagnosen sowie unter Nutzung der Telematikinfrastruktur (elektronische Gesundheitskarte) unmittelbar elektronisch an die Krankenkasse zu übermitteln (§ 295 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 10 SGB V). Die Regelung gilt auch für Krankenhäuser und stationäre Reha-Einrichtungen (§ 39 Abs. 1a Satz 6 2. Halbsatz SGB V). Ausgenommen sind nur Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, die nicht an die Telematikinfrastruktur angeschlossen sind.
Die Praxis muss an ein Praxisinformationssystem angeschlossen sein. Sollte das nicht der Fall sein, kann eine Arbeitsunfähigkeit nicht zulasten der Krankenkasse festgestellt und bescheinigt werden. Während der Übergangsphase bis zum 31.12.2021 wird weiterhin zusätzlich die 4-teilige Papierbescheinigung ausgestellt.
Verspätete Feststellung
Wird eine fortgesetzte Arbeitsunfähigkeit verspätet festgestellt, bleibt der Anspruch auf Krankengeld auch dann bestehen, wenn die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit spätestens innerhalb eines Monats nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird (§ 46 Satz 3 SGB V). Allerdings ruht während dieser Zeit der Anspruch auf Krankengeld (§ 49 Abs. 1 Nr. 8 SGB V).
Krankenhausentlassung
Das Krankenhaus führt ein Entlassmanagement durch. In diesem Rahmen bescheinigt der Krankenhausarzt eine Arbeitsunfähigkeit für einen Zeitraum von bis zu 7 Kalendertagen nach der Entlassung (§ 4a AUR). Er handelt dabei wie ein Vertragsarzt und verwendet den vereinbarten Vordruck oder meldet elektronisch. Der weiterbehandelnde Vertragsarzt ist entsprechend zu informieren. Falls erforderlich, wird eine Folgebescheinigung ausgestellt. Der Krankenhausarzt ist dabei an die AUR gebunden. Die Regelungen gelten entsprechend für die stationsäquivalente psychiatrische Behandlung sowie für Ärzte in Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation bei Leistungen nach den §§ 40 Abs. 2, 41 SGB V.
Ärztliche Untersuchung
Die Arbeitsunfähigkeit darf nur aufgrund einer ärztlichen Untersuchung bescheinigt werden (§ 4 Abs. 1 Satz 2 AUR). Die Arbeitsunfähigkeit kann davon abweichend auch mittelbar persönlich im Rahmen von
Videosprechstunden festgestellt werden (§ 4 Abs. 5 AUR) Dies ist jedoch nur zulässig, wenn
- der Versicherte dem Vertragsarzt aufgrund früherer Behandlung unmittelbar persönlich bekannt ist und
- die Erkrankung dies nicht ausschließt.
Eine erstmalige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ist nur für einen Zeitraum von bis zu 7 Kalendertagen möglich. Eine fortgesetzte Arbeitsunfähigkeit darf nur festgestellt werden, wenn bei dem Versicherten bereits zuvor aufgrund unmittelbar persönlicher Untersuchung durch den Vertragsarzt Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit festgestellt worden ist.
Ausnahmsweise darf während der COVID-19-Epidemie in Risikogebieten bei Erkrankungen der oberen Atemwege, die keine schwere Symptomatik vorweisen, und bei Verdachtsfällen auf eine Infektion mit COVID-19 eine Erstbescheinigung für längstens 7 Tage auch nach einer telefonischen Anamnese ausgestellt werden (§ 8 AUR). Eine Fortsetzungserkrankung kann für weitere 7 Tage festgestellt werden.
Epidemische Lage
Die Erstbescheinigung kann nach einer stationären Behandlung (Entlassmanagement) für 14 Tage ausgestellt werden, wenn der Deutsche Bundestag gemäß § 5 Abs. 1 IfSG eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt hat.
Anzeige
Gegenüber dem Arbeitgeber
Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich und damit ohne schuldhaftes Zögern mitzuteilen (§ 5 Abs. 1 EFZG, § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit in den ersten Betriebsstunden (ggf. auch schon vor dem ersten Arztbesuch) zu unterrichten ist. Eine unverzügliche Anzeige ist darüber hinaus erforderlich, wenn eine Arbeitsunfähigkeit länger als angenommen oder durch den Arzt bescheinigt andauert.
Die Arbeitsunfähigkeit kann persönlich oder durch eine dritte Person mündlich oder telefonisch angezeigt werden und ist nicht an eine bestimmte Form gebunden. Anzuzeigen ist, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist und dieser Zustand auf einer Krankheit beruht. Art und Ursache der Krankheit sind nicht mitzuteilen.
Elektronisches Arbeitgeberverfahren ab 1.1.2022
Gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer zeigen im elektronischen Arbeitgeberverfahren ab 1.1.2022 die Arbeitsunfähigkeit und ihre Fortsetzung wie bisher unverzüglich an.
Auskunftsanspruch des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber hat einen Auskunftsanspruch gegenüber dem Arbeitnehmer, um festzustellen, ob die Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet ist oder der Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch gegen einen Dritten hat, der auf den Arbeitgeber übergegangen ist.
Gegenüber der Agentur für Arbeit
Bezieher von Arbeitslosengeld oder Übergangsgeld sind verpflichtet, der zuständigen Agentur für Arbeit ihre Arbeitsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen (§ 311 Satz 1 Nr. 1 SGB III). Außerdem müssen sie spätestens vor Ablauf des dritten Kalendertages nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer vorlegen. Das Gleiche gilt für Personen, die diese Leistungen beantragt haben.
Nachweispflicht des Arbeitnehmers
Arbeitsunfähigkeitsdauer länger als 3 Kalendertage
Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als 3 Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG).
Kurzzeitige Erkrankungen von bis zu 3 Kalendertagen
Der Arbeitgeber kann auch bei einer kurzzeitigen Erkrankung von bis zu 3 Kalendertagen einen Nachweis durch eine ärztliche Bescheinigung verlangen. Er kann außerdem die Frist für die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung gegenüber der gesetzlichen Regelfrist abkürzen (BAG, Urteil v. 14.11.2012, 5 AZR 886/11). Es liegt im Ermessen des Arbeitgebers eine frühere Vorlage zu verlangen und zu entscheiden, ob generell, abteilungsbezogen oder im Einzelfall von der Regelfrist von 3 Kalendertagen abgewichen werden soll.
Der Arbeitgeber hat gegenüber den Arbeitnehmern ein einseitiges Bestimmungsrecht (§ 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG). Eine vertragliche Regelung ist nicht erforderlich. Es liegt im Ermessen des Arbeitgebers, sein Recht auszuüben. Eine Begründung ist nicht erforderlich. Das Recht kann in einem Einzelfall ausgeübt, arbeitsvertraglich vereinbart oder durch Tarifvertrag geltend gemacht werden.
Folgebescheinigung
Die Angabe der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit in der Bescheinigung begrenzt deren Wirksamkeit. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als angegeben, ist eine erneute ärztliche Bescheinigung beizubringen. Für die Vorlage dieser Folgebescheinigung sieht das Gesetz keine Frist vor. In der Praxis wird die Nachweisfrist in entsprechender Anwendung des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG berechnet (BAG, Urteil v. 29.8.1980, 5 AZR 1051/79). Der Nachweis über die Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit ist demnach spätestens am ersten Arbeitstag nach dem dritten Kalendertag der noch nicht bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeit zu erbringen.
Elektronisches Arbeitgeberverfahren ab 1.1.2022
Die Arbeitgeber werden ab 1.1.2022 am elektronischen Verfahren beteiligt (§ 109 SGB IV). Die Krankenkasse stellt die elektronischen Meldedaten zur Verfügung. Der Arbeitgeber erhält einen elektronischen Hinweis, dass die Daten für ihn abrufbar sind. Das Verfahren gilt auch für geringfügig Beschäftigte. Die Minijob-Zentrale ruft die Arbeitsunfähigkeitsdaten von der zuständigen Krankenkasse ab, um das U1-Verfahren durchzuführen.
Der Nachweis wird für den Versicherten über das elektronische Verfahren geführt (§ 5 Abs. 1a EFZG). Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, die Arbeitsunfähigkeit und ihre Fortsetzung fristgerecht (§ 5 Abs. 1 Sätze 2–4 EFZG) ärztlich feststellen zu lassen (§ 5 Abs. 1a Satz 2 EFZG).
Die Nachweispflicht des Arbeitnehmers bleibt bestehen, soweit die elektronische Meldung nicht greift. Dies betrifft die geringfügige Beschäftigung in Privathaushalten oder die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch Ärzte, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen (z. B. bei im Ausland ansässigen Ärzten).
Der Arbeitnehmer erhält weiterhin eine Bescheinigung in Papier über die festgestellte Arbeitsunfähigkeit (ohne Diagnose). Sie dient dem Arbeitnehmer z. B. als Beweismittel in Störfällen (Technikversagen). Die Urkunde kann dem Arbeitgeber ausgehändigt werden.
Arbeitnehmer, die nicht gesetzlich krankenversichert sind, weisen die Arbeitsunfähigkeit weiterhin durch eine ärztliche Bescheinigung in Papier nach.
Verweigerung der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber bei Verletzung der Anzeige- oder Nachweispflicht
Der Arbeitgeber kann die Entgeltfortzahlung verweigern, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit nicht oder nicht fristgerecht nachweist (Leistungsverweigerungsrecht; § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG).
Verstößt der Arbeitnehmer gegen die Pflicht, seine Arbeitsunfähigkeit anzuzeigen, ergibt sich daraus kein Recht des Arbeitgebers, die Entgeltfortzahlung zu verweigern. Ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht kann allerdings Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers, eine Abmahnung oder eine Kündigung nach sich ziehen.
Das Leistungsverweigerungsrecht steht dem Arbeitgeber nur zu, wenn der Arbeitnehmer die Verletzung seiner Obliegenheitspflichten zu vertreten hat (§ 7 Abs. 2 EFZG).
Das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers ist vorläufig, solange der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit nicht nachweist. Die Entgeltfortzahlung ist auch für die Vergangenheit zu leisten, wenn der Verweigerungsgrund wegfällt, weil der Arbeitnehmer seiner Nachweispflicht entsprochen hat.
Meldung bei der Krankenkasse
Dem Versicherten einer Krankenkasse obliegt es, der Krankenkasse die Arbeitsunfähigkeit innerhalb einer Woche nach dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit zu melden (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V). Wird die Frist nicht eingehalten, ruht der Anspruch auf Krankengeld. Das gilt auch für eine Fortsetzungserkrankung (BSG, Urteil v. 5.12.2019, B 3 KR 5/19 R).
Bei verspäteter Meldung ist die Gewährung von Krankengeld selbst dann ausgeschlossen, wenn die Leistungsvoraussetzungen im Übrigen zweifelsfrei gegeben sind und den Versicherten kein Verschulden an dem unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Zugang der Meldung trifft. Auch eine vom Versicherten rechtzeitig zur Post gegebene, aber auf dem Postweg verloren gegangene Bescheinigung kann den Eintritt der Ruhenswirkung des Krankengeldes selbst dann nicht verhindern, wenn die Meldung unverzüglich nachgeholt wird.
Die Meldung ist nicht an eine bestimmte Form gebunden und kann persönlich oder durch Dritte gegenüber der zuständigen Krankenkasse abgegeben werden. Die Meldung ist u. a. erfolgt, wenn der Krankenkasse eine ärztliche Bescheinigung zugeht.
Aufgrund der elektronischen Übermittlung ab 1.1.2021 ist der Versicherte davon befreit, die Arbeitsunfähigkeit persönlich an die Krankenkasse zu melden (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V). Eine verspätete Übermittlung geht nicht zulasten des Versicherten. Die Ruhenswirkung einer verspäteten Meldung tritt nicht ein. Ist eine elektronische Übermittlung aus technischen Gründen während der Übergangsphase nicht möglich (z. B. weil das erforderliche Update für den Konnektor in der Arztpraxis noch nicht eingespielt werden konnte), obliegt dem Versicherten die Meldung an die Krankenkasse.
Adressat der Meldung
Die Meldung ist als Obliegenheit des Versicherten gegenüber der für das Krankengeld zuständigen Krankenkasse abzugeben. § 16 Abs. 1 SGB I, wonach ein Leistungsantrag auch bei einem unzuständigen Leistungsträger wirksam abgegeben werden kann, ist auf die Meldung nicht anzuwenden.
Der Arzt ist verpflichtet, der Krankenkasse die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung unverzüglich zu übersenden (§ 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG). Die Vorschrift bezweckt, den Arbeitgeber möglichst frühzeitig davon zu unterrichten, dass die Krankenkasse von der Arbeitsunfähigkeit weiß. Der Versicherte ist dadurch nicht von seiner Obliegenheit entbunden, der Krankenkasse die Arbeitsunfähigkeit zu melden (BSG, Urteil v. 25.10.2018, B 3 KR 23/17 R).
Begutachtung
Die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reicht regelmäßig aus, den Anspruch auf Entgeltfortzahlung oder Krankengeld zu begründen. Ist diese Voraussetzung erfüllt, kann der Arbeitgeber die Fortzahlung des Entgelts nicht mit einem bloßen Bestreiten der Arbeitsunfähigkeit verweigern.
Die Krankenkassen sind bei Arbeitsunfähigkeit eines Versicherten jedoch verpflichtet, eine
Begutachtung durch den Medizinischen Dienst einzuleiten, soweit dies gesetzlich bestimmt ist (§ 275 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V). Dies ist insbesondere der Fall, wenn es zur Sicherung des Behandlungserfolgs oder zur Beseitigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit erforderlich ist. Die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit
- brauchen nicht begründet zu werden,
- können medizinische, rechtliche oder sonstige Ursachen haben oder
- können beim Arbeitgeber deshalb begründet sein, weil sich die Arbeitsunfähigkeitsmeldung z. B. nach innerbetrieblichen Differenzen, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder nach vorheriger Ankündigung des Arbeitnehmers ergeben haben.
Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit
Nach § 275 Abs. 1a Satz 1 SGB V sind Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit von der Krankenkasse
insbesondere in den Fällen anzunehmen, in denen Versicherte
- auffällig häufig,
- auffällig häufig nur für kurze Dauer,
- am Ende oder zu Beginn der Arbeitswochen
arbeitsunfähig sind oder die Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt festgestellt ist, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist.
Darüber hinaus sind nach den Richtlinien über die Zusammenarbeit der Krankenkassen mit dem Medizinischen Dienst Zweifel an dem Bestehen von Arbeitsunfähigkeit u. a. dann angebracht, wenn
- ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers im Hinblick auf das bescheinigte Krankheitsbild vorliegt,
- die Arbeitsunfähigkeitsmeldung nach innerbetrieblichen Differenzen oder nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgt oder
- der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit angekündigt hat.
Der Arbeitgeber kann verlangen, dass die Krankenkasse eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit einholt. Die Krankenkasse kann jedoch von einer Beauftragung des Medizinischen Dienstes absehen, wenn sich die medizinischen Voraussetzungen der Arbeitsunfähigkeit eindeutig aus den der Krankenkasse vorliegenden Unterlagen ergeben.
Verfahren
Das Ergebnis und die erforderlichen Angaben über die Befunde werden dem behandelnden Arzt und der Krankenkasse mitgeteilt. Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden vom Medizinischen Dienst nicht über das Ergebnis des Gutachtens informiert. Solange noch ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht und das Gutachten mit der Bescheinigung des Vertragsarztes im Ergebnis nicht übereinstimmt, teilt die Krankenkasse sowohl dem Arbeitgeber als auch dem Arbeitnehmer das Ergebnis der Begutachtung mit.
Inhalt dieser Mitteilung ist nicht eine evtl. Änderung der Diagnose, sondern lediglich die abweichende Auffassung zur Frage der Arbeitsunfähigkeit oder der Dauer.
Der Arbeitgeber ist von der Krankenkasse auch dann zu benachrichtigen, wenn der Arbeitnehmer der Vorladung zur Begutachtung nicht nachgekommen ist.
Der behandelnde Arzt kann darüber hinaus ein Zweitgutachten bei der Krankenkasse beantragen, wenn er mit dem Gutachten des Medizinischen Dienstes nicht einverstanden ist.