BSG, Beschluss vom 31.8.2011 – GS 2/2010
Ein Sozialleistungsträger kann eigene oder fremde Ansprüche gegen den Leistungsberechtigten mit dessen Anspruch auf eine Geldleistung aufrechnen oder verrechnen (vgl. §§ 51, 52 SGB I). Bei der entsprechenden Erklärung handelt es sich um einen Verwaltungsakt. Dieser kann mit einem Widerspruch und ggf. einer Anfechtungsklage angegriffen werden.
Forderungen des Sozialleistungsträgers
Eigene Ansprüche eines Sozialleistungsträgers können öffentlich-rechtliche Forderungen wie Beitragsansprüche oder Erstattungsansprüche aufgrund zu Unrecht gewährter Leistungen (vgl. §§ 44 ff. SGB X) sein. Es kann sich dabei aber auch um zivilrechtliche Forderungen handeln, die im Wege der Legalzession auf den Sozialleistungsträger übergegangen sind (vgl. §§ 115, 116 SGB X). Die Forderung muss hinreichend bestimmt sein (BSG, Urteil vom 24. Juli 2003, B 4 RA 60/02 R).
Hilfebedürftigkeit
Die Auf-/Verrechnung darf nicht dazu führen, dass der Leistungsberechtigte hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II wird (vgl. § 51 Abs. 2 SGB I). Dabei kann grundsätzlich in dem Maße aufgerechnet oder verrechnet werden, wie Arbeitseinkommen gepfändet werden könnte (vgl. § 51 Abs. 1 i. v. m. § 54 Abs. 4 SGB I). Die Pfändungsfreigrenzen der Nettobezüge sind zu beachten (vgl. §§ 850 a bis 850 i ZPO).
Bei der Hilfebedürftigkeit sind die Regelsätze, die Kosten für Unterkunft und Heizung sowie ggf. ein Mehrbedarf zu berücksichtigen (vgl. §§ 28 – 30 SGB XII in Verbindung mit der Regelsatzverordnung – RSV). Die Höhe der Regelsätze wird durch Landesrecht festgesetzt.
Privilegierte Forderungen
Besondere Forderungen eines Sozialleistungsträgers (Ansprüche auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und Beitragsansprüche) können darüber hinaus ohne Rücksicht auf die Pfändungsfreigrenzen der Nettobezüge bis zur Hälfte des Anspruchs auf eine laufende Geldleistung aufgerechnet oder verrechnet werden (vgl. § 51 Abs. 2 SGB I). Hilfebedürftigkeit nach den Vorschriften des SGB XII oder SGB II darf jedoch nicht eintreten.
Wirksamkeit und Fälligkeit
Die Forderung muss wirksam und fällig sein. Der Wirksamkeit stehen Einreden des Sozialleistungsberechtigten wie z. B. die der Verjährung entgegen. Fälligkeit (vgl. §§ 40, 41 SGB I) setzt bei öffentlich-rechtlichen Forderungen einen wirksamen Verwaltungsakt voraus. Ein Rechtsbehelf gegen diesen Verwaltungsakt stört den Eintritt der Fälligkeit nicht. Das gilt allerdings nicht, wenn der aufzurechnende Anspruch die Rückforderung von Leistungen betrifft. Entsprechende Verwaltungsakte werden erst dann wirksam, wenn sie unanfechtbar geworden sind, da Widerspruch und Klage eine aufschiebende Wirkung haben (vgl. § 86a SGG). Zivilrechtliche Forderungen, die im Wege der Legalzession auf den Sozialleistungsträger übergegangen sind, sind nur dann fällig, wenn eine rechtskräftige zivilgerichtliche Entscheidung über das Bestehen der Forderung vorliegt.
Verjährung
Die aufzurechnende Forderung darf nicht verjährt sein. Beitragsforderungen verjähren in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind (vgl. § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Bei vorsätzlich vorenthaltenen Beiträgen verjähren die Forderungen erst in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind (vgl. § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Die Rückforderung aufgrund zu Unrecht gewährter Leistungen erfordert einen schriftlichen Verwaltungsakt (vgl. § 50 Abs. 3 SGB X). Der Rückforderungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt unanfechtbar geworden ist (vgl. § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X).
Auf- oder Verrechnungserklärung
Die Erklärung über eine Auf-/Verrechnung stellt einen Verwaltungsakt dar, da diese unmittelbare Wirkung auf den Auszahlungsanspruch des Berechtigten hat. Die Erklärung lässt den Auszahlungsanspruch ganz oder teilweise erlöschen. Die übrigen Merkmale eines Verwaltungsakts (vgl. § 31 SGB V) sind ebenfalls gegeben.
- §§ 51, 52 SGB I stellen spezifische Regelung des öffentlichen Rechts zur Ausgestaltung der öffentlich- echtlichen Rechtsbeziehungen zwischen Leistungsempfängern und Sozialleistungsträgern dar.
- Die Erklärung einer Auf- oder Verrechnung stellt eine hoheitliche Maßnahme dar, die dem Sozialleistungsempfänger nicht zusteht.
Schließlich geht auch der Gesetzgeber davon aus, dass es sich bei der Erklärung um einen Verwaltungsakt handelt. Vor dessen Erlass hat eine Anhörung stattzufinden (vgl. § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X).
Hinweis: Der Große Senat hat aufgrund einer Vorlage des 13. Senats entschieden (BSG, Entscheidung vom 25.2.2010, B 13 R 76/09 R).
Hallo ,
ich bin vor einigen Jahren eine Zeitlang arbeitslos gewesen und bin, weil ich mir zu Stolz war, zu kein Amt.
Also war ich nicht Pflichtversichert und habe dadurch bei meiner Krankenkasse Schulden.
Jetzt habe ich ein Baby bekommen und meine Krankenkasse müsste mir Rückwirkend Mutterschaftsgeld bezahlen.
Meine Beraterin hat mir heute mitgeteilt das, dass Geld jetzt mit dem offenen Betrag verrechnet wird und ich nur noch die Differenz bekommen würde.
Dürfen die das einfach so entscheiden und das Geld einbehalten ?
Über eine Antwort und gegebenenfalls ein Radschlag was ich tun kann, wäre ich sehr dankbar.
Mit freundlichen Grüßen
Patrizia G.
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