Entgeltfortzahlung – Der Arbeitgeber zahlt auch nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses

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  • Beitrag zuletzt geändert am:2. April 2021
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463997_web_R_K_by_Thorben Wengert_pixelio.deDer Arbeitgeber ist nur innerhalb eines Arbeitsverhältnisses verpflichtet, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu leisten. Wenn das Arbeitsverhältnis allerdings vom Arbeitgeber wegen der Arbeitsunfähigkeit gekündigt wird, dann muss über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus gezahlt werden (längstens für insgesamt 6 Wochen; vgl. § 8 Abs. 1 EFZG). Das gilt auch, wenn der Arbeitnehmer aus wichtigem Grund kündigt, den der Arbeitgeber zu vertreten hat.

Anlasskündigung

Der Arbeitgeber kündigt dann aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit, wenn die Arbeitsunfähigkeit wesentliche Bedingung der Kündigung ist. Es kommt auf die objektive Ursache, nicht auf das Motiv der Kündigung an. Maßgebend sind die objektiven Umstände bei Ausspruch der Kündigung. Der Arbeitgeber kündigt nicht aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit, wenn diese erst nach einer ausgesprochenen Kündigung eintritt oder bekannt wird.

Der Begriff „aus Anlass“ wird weit ausgelegt. Es genügt, wenn die Kündigung ihre objektive Ursache und wesentliche Bedingung in der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hat und den entscheidenden Anstoß für den Kündigungsentschluss gegeben hat.

Hieraus folgt, dass § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG anzuwenden ist, wenn die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers beim Ausspruch der Kündigung eingetreten und bekannt ist. Eine zukünftige Arbeitsunfähigkeit muss mit großer Sicherheit bevorstehen (z. B. aufgrund einer fest terminierte Operation).

Beispiel

Der Arbeitgeber kündigt,

  • weil eine Ersatzkraft für den erkrankten Arbeitnehmer eingestellt wird, um Betriebsablaufstörungen wegen der krankheitsbedingten Abwesenheit zu vermeiden,
  • wegen einer sich an die Arbeitsunfähigkeit anschließenden Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit des Arbeitnehmers,
  • wegen eines mit der Arbeitsunfähigkeit in Zusammenhang stehenden gesetzlichen Beschäftigungsverbots,
  • einem arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen ohne eine sozialen Auswahl (vgl. § 1 Abs. 3 KSchG) zu treffen, wenn die Arbeitsunfähigkeit einen entscheidenden Grund für die Kündigung darstellt.

Die gleiche Beurteilung gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass

  • der Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit,
  • einer nicht rechtswidrigen Sterilisation,
  • eines nicht rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruchs,
  • eines rechtswidrigen aber straffreien Schwangerschaftsabbruchs
  • oder einer Organtransplantation

kündigt.

Eine Kündigung aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit während der vierwöchigen Wartezeit (vgl. § 3 Abs. 3 EFZG) entbindet den Arbeitgeber ebenfalls nicht davon, Entgeltfortzahlung zu leisten.

Beispiel

Ein Arbeitnehmer steht seit dem 1. Mai 2013 in einem Arbeitsverhältnis. Dieses wird aus Anlass einer am 15. Mai 2013 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit gekündigt. Der Arbeitnehmer hat während der Wartezeit bis zum 28. Mai 2013 keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Für die Zeit vom 29. Mai bis zum 9. Juli 2013 hat der Arbeitgeber Entgelt fortzuzahlen (längstens bis zum Ende der Arbeitsunfähigkeit).

Darlegungs- und Beweislast

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit gekündigt worden ist, trifft im Streitfall als anspruchsbegründende Tatsache den Arbeitnehmer. Dabei ist der verfassungsrechtlich gebotene Schutz des Arbeitnehmers auch im Prozessrecht zu gewährleisten. Deshalb finden die Grundsätze einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast Anwendung.

Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer keinen Auswahlfehler des Arbeitgebers geltend macht, sondern die Kündigung aus anderen Gründen für rechtswidrig hält. Im ersten Schritt muss jedoch der Arbeitnehmer, der die Gründe, die zu seiner Kündigung geführt haben, oft nicht kennt, einen Sachverhalt vortragen, der die Rechtswidrigkeit der Kündigung indiziert. Der Arbeitgeber muss sich dann qualifiziert auf das Vorbringen des Arbeitnehmers einlassen, um es zu entkräften (vgl. § 138 Abs. 2 ZPO).

Kommt der Arbeitgeber dieser sekundären Behauptungslast nicht nach, gilt der schlüssige Vortrag des Arbeitnehmers gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Trägt der Arbeitgeber hingegen die betrieblichen, persönlichen oder sonstigen Gründe vor, die den Vorwurf der Rechtswidrigkeit ausschließen, so hat der Arbeitnehmer die Tatsachen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit der Kündigung dennoch ergeben soll, zu beweisen.

Fallen Kündigung und Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder deren Verlängerung zeitlich zusammen, so spricht der Beweis des ersten Anscheins (prima-facie-Beweis) dafür, dass die Arbeitsunfähigkeit oder deren Fortdauer Anlass der Kündigung war. Dies zu widerlegen ist dann Sache des Arbeitgebers.

Anscheinsbeweis

Wird das Arbeitsverhältnis vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit gekündigt, liegt keine Anlasskündigung vor. Erhebt der Arbeitnehmer zulässig Kündigungsschutzklage, so ist für die soziale Rechtfertigung der Kündigung der Arbeitgeber beweispflichtig (vgl. § 1 Abs. 2 KschG).

Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt von Arbeitsunfähigkeit

Grundsätzlich endet mit Erlöschen des Arbeitsverhältnisses auch der Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Bei einer vor dem Eintritt von Arbeitsunfähigkeit ausgesprochenen Kündigung entfällt der Anspruch auf Entgeltfortzahlung mit Ablauf der Kündigungsfrist. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung nicht für sechs Wochen gezahlt hat.

Nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG muss die Arbeitsunfähigkeit bei Ausspruch der Kündigung nicht objektiv vorliegen. Der Arbeitgeber, für den Anlass der Kündigung die bevorstehende Arbeitsunfähigkeit ist, kündigt das Arbeitsverhältnis ebenfalls „aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit“. Es bedarf lediglich hinreichend sicherer Anhaltspunkte der bevorstehenden Arbeitsunfähigkeit. Bloße Vermutungen oder vage Ankündigungen können keine Grundlage dafür sein, dass die Arbeitsunfähigkeit objektive Ursache der Kündigung ist. Steht dagegen die künftige Arbeitsunfähigkeit so gut wie sicher fest, kann sie die Grundlage der Kündigung sein. Das ist gerade bei einem fest vereinbarten Operationstermin der Fall, wenn die Operation mit Arbeitsunfähigkeit verbunden ist. Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit tritt eben nicht stets unvorhersehbar und schicksalhaft ein, sondern unterliegt vielfach der Planung durch Patienten und Ärzte.

Kündigung vor Ablauf der Nachweisfrist am Anfang einer Arbeitsunfähigkeit

Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG liegt vor, wenn die Arbeitsunfähigkeit sich als eine die Kündigung wesentlich mitbestimmte Bedingung darstellt. Dies setzt grundsätzlich voraus, dass dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit bekannt war. Ein Arbeitgeber, der vor Ablauf der Nachweisfrist des § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG gekündigt und nicht abgewartet hat, ob der Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeit nachweist, kann nicht geltend machen, er habe bei Ausspruch der Kündigung von der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers keine Kenntnis gehabt.

Die vom Arbeitgeber abzuwartende Nachweisfrist beträgt drei Kalendertage. Sie beginnt mit dem Fehlen des Arbeitnehmers, nicht erst mit dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit.. Es soll verhindert werden, dass der Arbeitgeber bei einem Fehlen des Arbeitnehmers sofort kündigt und dann geltend macht, er habe von einer Arbeitsunfähigkeit nichts gewusst. Wartet der Arbeitgeber die Nachweisfrist ab und kündigt er dann, ohne von der Arbeitsunfähigkeit Kenntnis zu haben, kann er davon ausgehen, dass der Arbeitnehmer unentschuldigt fehlt, auch wenn dieser zwischenzeitlich erkrankt ist.

Kündigung vor Ablauf der Nachweisfrist bei Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit

Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG liegt auch dann vor, wenn der Arbeitgeber vor Ablauf von drei Tagen nach dem Ende einer zunächst bescheinigten Arbeitsunfähigkeit gekündigt und nicht abgewartet hat, ob der Arbeitnehmer eine Bescheinigung über die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nachweist. Der Arbeitgeber kann nicht geltend machen, er habe bei Ausspruch der Kündigung von der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit keine Kenntnis gehabt.

Aufhebungsvertrag

Die Anwendung des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG kommt auch dann in Betracht, wenn das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit nicht gekündigt, sondern auf Initiative des Arbeitgebers hin einvernehmlich beendet wird. Ein Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG entfällt im Regelfall, wenn das Arbeitsverhältnis nach einer vom Arbeitgeber aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers ausgesprochenen Kündigung im gegenseitigen Einvernehmen beendet wird.

Bei der Beurteilung von Ansprüchen im Zusammenhang mit dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis kommt es nicht entscheidend auf die formale Seite – Aufhebungsvertrag oder Kündigung -, sondern auf den Anlass, den materiellen Auslösungsgrund, an. Die gleichen Überlegungen müssen auch für den Fall gelten, in dem der Arbeitgeber die Auflösung des Arbeitsverhältnisses aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit durch einem Aufhebungsvertrag betreibt, ohne zuvor gekündigt zu haben. § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG will verhindern, dass der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit zum Anlass einer Kündigung nimmt, um sich auf diese Weise der Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung zu entziehen. Diesem gesetzgeberischen Zwecke würde nur unvollkommen entsprochen, wenn der Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung nicht verpflichtet wäre, sofern es ihm gelingt, den Arbeitnehmer zu einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu veranlassen und deshalb eine Kündigung entbehrlich wird.

Verzichtserklärung/Ausgleichsquittung

Sofern ein Arbeitnehmer bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses in einer Ausgleichsquittung bestätigt, dass er seine Arbeitspapiere und den Restlohn erhalten hat, und er zugleich die auf dem Formular vorgedruckte Erklärung unterschreibt, dass damit alle seine Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis abgegolten sind und er keine Forderungen gegen den Arbeitgeber ‑ gleichgültig aus welchem Rechtsgrund – mehr hat, wurde durch diese Handlung der Empfang der Papiere quittiert und möglicherweise die Richtigkeit der Lohnabrechnung anerkannt. Ein weitergehender Verzicht, insbesondere ein Verzicht auf einen etwaigen Entgeltfortzahlungsanspruch, kann in einer solchen „Erklärung“ nicht gesehen werden, es sei denn, aus den Umständen ergibt sich, dass der Arbeitnehmer die Bedeutung seiner Unterschrift erkannt hat.

Kündigung durch den Arbeitnehmer aus einem vom Arbeitgeber zu vertretenden wichtigen Grund

Einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus kann ein Arbeitnehmer bei Arbeitsunfähigkeit auch dann fordern, wenn er aus wichtigem Grund kündigt und der Arbeitgeber diesen Grund zu vertreten hat (vgl. § 626 Abs. 1 BGB). Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer von seinem Recht, das Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen, keinen Gebrauch macht und eine fristgemäße Kündigung wählt.

Wichtige Gründe können

  • Tätlichkeiten,
  • grobe Beleidigungen,
  • ungerechtfertigte Verdächtigungen (z. B. des Diebstahls),
  • unsittliches Verhalten,
  • Verstöße gegen Arbeitsschutzvorschriften und
  • bestimmte Vertragsverletzungen wie etwa die unberechtigte Verweigerung der Entgeltzahlung oder Entgeltfortzahlung oder ein Zahlungsverzug des Arbeitgebers

sein.

Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines vom Arbeitgeber zu vertretenden wichtigen Grundes trifft den kündigenden Arbeitnehmer.

Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei verspäteter Rückkehr des Arbeitnehmers aus dem Urlaub

Vereinbarungen über die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses sind grundsätzlich zulässig und weder durch Kündigungs- noch durch Kündigungsschutzbestimmungen ausgeschlossen. Die Aufhebung ist jedoch unzulässig, wenn zwingende Vorschriften des Kündigungsrechts umgangen werden. Eine einzelvertragliche Festlegung, nach der das Arbeitsverhältnis ohne Weiteres enden soll, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit nach Ablauf des bezahlten Erholungsurlaubs nicht sofort wieder aufnimmt, ist – unabhängig davon, welche Umstände die Fristversäumnis verursacht haben – rechtsunwirksam, weil sie den durch das Kündigungs- und Kündigungsschutzrecht gewährleisteten Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses vereiteln würde. Soweit eine derartige Vereinbarung auch den Fall der Arbeitsverhinderung infolge Krankheit einschließt, ist ihre Rechtsunwirksamkeit schon wegen des Verstoßes gegen § 9 EFZG über die Unabdingbarkeit des Entgeltfortzahlungsanspruchs gegeben. Das gleiche gilt, wenn der Arbeitnehmer nach einem vereinbarten unbezahlten Sonderurlaub nicht rechtzeitig zurückkehrt. Unabhängig davon kann dieses Verhalten des Arbeitnehmers jedoch einen Grund zur Kündigung durch den Arbeitgeber darstellen.

Foto: Thorben Wengert  / pixelio.de

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Sehr gehrte Damen und Herren ,ich habe ein Problem bin seit 28.12 2016 Krankgeschrieben mein Chef sagt er wird mir den Februar nicht bezahlen obwohl erst es muss wie gehe ich vor wenn er nicht bezahlt und er muss doch 6Wochen bezahlen würde mich über eine Antwort freuen Frank Grünhagen.

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