Krankengeld – Teilbeträge können für Unterhalt abgezweigt werden

  • Beitrags-Autor:
  • Beitrags-Kategorie:Fachliteratur
  • Beitrag zuletzt geändert am:2. April 2021
  • Lesedauer:6 min Lesezeit

605464_web_R_B_by_Gerd Altmann_Shapes-AllSilhouettes.com_pixelio.deKrankengeld kann in angemessener Höhe an den Ehegatten oder die Kinder des Versicherten ausgezahlt werden, wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB I). Die Auszahlung kann auch an die Person oder Stelle erfolgen, die dem Ehegatten oder den Kindern Unterhalt gewährt (§ 48 Abs. 1 Satz 4 SGB I; z. B. Sozialamt oder Jugendamt). Maßstab ist die konkrete gesetzliche Unterhaltsverpflichtung des Versicherten. Sie ergibt sich entweder aus einem Unterhaltstitel (z. B. in Form eines rechtskräftigen Urteils) oder ist nach den in der Praxis hierzu verwendeten Tabellen verschiedener Oberlandesgerichte zu ermitteln (z. B. Düsseldorfer Tabelle).

Keine Differenzierung nach dem Wohnsitz

Durch das ab 1. Januar 2008 geltende Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts entfällt für die Unterhaltshöhe die bislang übliche Differenzierung nach dem Wohnsitz des Kindes im alten oder im neuen Bundesgebiet. Seit dem sind für die in den neuen Bundesländern oder in den östlichen Bezirken von Berlin lebenden Kinder keine Sonderregelungen mehr zu beachten.

Gesetzliche oder vertragliche Unterhaltspflicht

Der gesetzlichen Unterhaltspflicht steht eine vertragliche gleich, soweit durch sie die gesetzliche Unterhaltspflicht konkretisiert wird (z. B. Unterhaltsvergleich). § 48 SGB I ist nicht auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber anderen Personen als dem Ehegatten oder den Kindern anwendbar.

Liegt bei mehreren gleichrangig Unterhaltsberechtigten nicht in jedem Fall ein Unterhaltstitel vor, führt der Unterhaltstitel nicht zum Vorrang des Berechtigten.

Leistungsfähigkeit

Eine Abzweigung ist nur zulässig, wenn der Leistungsberechtigte im Hinblick auf den Unterhaltsbedarf seiner Angehörigen leistungsfähig ist. Die für die Abzweigung vorausgesetzte „gesetzliche Unterhaltspflicht“ erfordert nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts nicht nur die Bedürftigkeit des jeweiligen Angehörigen, der außerstande sein muss, sich selbst zu unterhalten (vgl. § 1602 Abs. 1 BGB), sondern auch die Fähigkeit des Leistungsberechtigten zu Unterhaltsleistungen. Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren (vgl. § 1603 Abs. 1 BGB).

Abzweigung bei fehlender Leistungsfähigkeit

Wenn eine Abzweigung nach § 48 Abs. 1 SGB I nicht möglich ist, dann ist die Abzweigung nach § 48 Abs. 2 SGB I zu prüfen. Danach kann auch beim Fehlen einer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung in bestimmten Fällen abgezweigt werden:

  • Die Vorschrift erfasst auch den Fall, in dem eine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung wegen fehlender Leistungsfähigkeit nicht besteht,
  • der Sozialleistungsberechtigte keinerlei Unterhalt erbracht hat und
  • von einer laufenden Geldleistung abgezweigt werden soll, die unter Berücksichtigung von Kindern erbracht wird.

Auf das Krankengeld ist diese Vorschrift nicht anwendbar, weil das Krankengeld nicht unter Berücksichtigung von Kindern erbracht wird.

Selbstbehalt

Die Bestimmung des Selbstbehalts des Unterhaltsverpflichteten kann in Anlehnung an die familiengerichtliche Praxis unter Heranziehung geeigneter schematisierter Werte erfolgen, da eine ins Einzelne gehende Prüfung dem Charakter der Abzweigung als Soforthilfemaßnahme zuwiderliefe. Die Rechtsprechung hat dabei die Praxis gebilligt, die Düsseldorfer Tabelle als allgemein geeigneten Maßstab für die Berechnung des Selbstbehalts im gesamten Bundesgebiet zugrunde zu legen. Reicht das Einkommen zur Deckung des Bedarfs des Unterhaltspflichtigen und der gleichrangigen Unterhaltsberechtigten nicht aus (sog. Mangelfall), ist die nach Abzug des notwendigen Eigenbedarfs (Selbstbehalts) des Unterhaltspflichtigen verbleibende Verteilungsmasse auf die Unterhaltsberechtigten im Verhältnis ihrer jeweiligen Einsatzbeträge gleichmäßig zu verteilen.

Rangfolge

Sind mehrere Unterhaltsberechtigte vorhanden ist bei der Abzweigung vom Krankengeld in einem Mangelfall eine Rangfolge zu beachten.

Der erste Rang steht minderjährige unverheiratete Kindern und privilegierten volljährigen Kindern zu (vgl. §1603 Abs. 2 Satz 2 BGB). Diese haben absoluten Vorrang vor allen anderen Unterhaltsansprüchen. Somit wird eine gerechte Verteilung vorgeschrieben. Andere Unterhaltsansprüche werden nachrangig befriedigt. Erst wenn die Ansprüche der Unterhaltsberechtigten des ersten Ranges befriedigt sind, können Berechtigte der weiteren Ränge bedacht werden.

Den zweiten Rang nehmen Kinder betreuende Elternteile und ehemalige oder aktuelle Ehepartner mit langer Ehedauer ein.. Bei Kinder betreuenden Elternteilen ist es unerheblich, ob sie verheiratet waren.Ehemalige und aktuelle Ehegatten mit langer Ehedauer bedürfen ebenfalls besonderen Schutzes, weil das über Jahre gewachsene Vertrauen beachtet werden muss. Der Begriff „lange Ehedauer“ ist auslegungsbedürftig. Es kann von einer Dauer von mindestens 15 Jahren ausgegangen werden.

Den dritten Rang nimmt der ehemalige, geschiedene oder getrennt lebende Ehegatte nach kurzer Ehe ein.

Der vierte Rang sowie nachfolgende Ränge stehen volljährigen Kindern (Ausnahme: privilegierte volljährige Kinder),die sich in Ausbildung oder Studium befinden (vgl. §1603 Abs. 2 Satz 2 BGB), zu.

Bei ausreichender Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen hat diese Rangregelung keine Bedeutung. Konsequenzen ergeben sich vielmehr beim sogenannten Mangelfall.

Verwaltungsakt der Krankenkasse

Die Entscheidung der Krankenkasse über die Abzweigung von Krankengeldteilen an Dritte ist ein Verwaltungsakt, dem eine Ermessensentscheidung zugrunde liegt. Bei Abzweigungen an mehrere Unterhaltsberechtigte oder an Dritte (z. B. Jugendamt, Sozialamt) ist der Gesamtabzweigungsbetrag entsprechend aufzuteilen. Die Entscheidung kann nur einheitlich gegenüber den Beteiligten des Verwaltungsverfahrens ergehen. Dem Verwaltungsakt hat eine Anhörung voranzugehen (vgl. § 24 SGB X).

Die Krankenkasse kann, auch wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen gegeben sind, von der an sich möglichen Abzweigung absehen, weil eine solche Maßnahme angesichts der näheren Umstände nicht angezeigt erscheint. Das Ermessen bezieht sich auch auf den Zeitpunkt des Beginns einer Abzweigung, d. h. den Zeitpunkt, zu dem der Versicherungsträger hätte tätig werden müssen.

Dabei muss die Krankenkasse sowohl die Dauer und den Umfang der unterbliebenen Unterhaltsleistung als auch die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten berücksichtigen. Der Verwaltungsakt der Krankenkasse hat Doppelwirkung in dem er den Versicherten belastet und den oder die Unterhaltsberechtigten begünstigt. Bestandteil der Begründung sind die Erwägungen, die die Krankenkasse bei der Ausübung des Ermessens berücksichtigt hat.

Höhe der Auszahlung

Zur Höhe der Auszahlung an Dritte enthält das Gesetz den unbestimmten Rechtsbegriff „angemessene Höhe“. Die Krankenkasse hat in diesem Zusammenhang einen Beurteilungsspielraum (Auslegungsermessen). Dazu wird die Krankenkasse regelmäßig die Zweckbestimmung und die Höhe des Krankengeldes sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse und Bedürfnisse der Beteiligten berücksichtigen. Dem Versicherten ist ein Betragzu belassen, der seinen angemessenen Unterhalt nicht gefährdet (vgl. u. a. § 1603 Abs. 1 BGB; Leistungsfähigkeit als zentrales Element eines Unterhaltsanspruchs).

Foto: Gerd Altmann/Shapes:AllSilhouettes.com  / pixelio.de

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Torsten Sauerstein

    Die Kindesmutter ist von Hamm nach Norddeich weggezogen kann dann trotzdem Unterhält vom Krankengeld abgezweigt Wesen?

Kommentare sind geschlossen.