Krankengeld – Die ärztliche Bescheinigung ist nicht verbindlich

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  • Beitrag zuletzt geändert am:2. April 2021
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Die Krankenkasse entscheidet über den Anspruch auf Krankengeld durch einen Verwaltungsakt. Dieser ist befristet auf die Zeit, für die die Arbeitsunfähigkeit ärztlich bescheinigt wurde. Die ärztliche Bescheinigung ist eine gutachterliche Stellungnahme. Die Krankenkasse kann davon abweichen und die Zahlung früher einstellen.

Entstehen des Anspruchs

Der Anspruch auf Krankengeld entsteht bei einer Krankenhausbehandlung oder einer Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung auf Kosten der Krankenkasse von ihrem Beginn an (vgl. § 46 Satz 1 Nr. 1 SGB V), im Übrigen von dem Tag an, an dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird (vgl. § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V). Ausnahmen gelten für Bezieher von Arbeitslosengeld oder Unterhaltsgeld nach dem SGB III, deren Anspruch auf Krankengeld vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an entsteht (vgl. § 47b Abs. 1 Satz 2 SGB V), sowie für Künstler und Publizisten, deren Anspruch auf Krankengeld von der siebten Woche der Arbeitsunfähigkeit an entsteht (vgl. § 46 Satz 2 SGB V).

Beispiel

Das Arbeitsverhältnis eines versicherungspflichtigen Arbeitnehmers ist zum 30.9.2018 beendet worden. Der behandelnde Arzt stellt am letzten Tag des Arbeitsverhältnisses fest, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist. Der Anspruch auf Krankengeld entsteht am 30.9.2018.

Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und den Anspruch auf Krankengeld (Umfang des Versicherungsschutzes) ist das Versicherungsverhältnis zum Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs (Ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. u. a. BSG, Urteil vom 26.6.2007, B 1 KR 2/07 R). Dafür kommt es weder auf den Beginn der Krankheit noch auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit an. Entscheidend sind vielmehr der Beginn der Krankenhausbehandlung oder der Tag nach der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit. In diesem Zusammenhang ist § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V nicht als bloße Zahlungsvorschrift zu bewerten, sondern enthält den Entstehenstatbestand für den Anspruch dem Grunde nach.

Beispiel

Das Arbeitsverhältnis eines versicherungspflichtigen Arbeitnehmers ist zum 30.9.2018 beendet worden. Da der Arbeitnehmer eine Rente bezieht ist er vom 1.10.2018 an als Rentner ohne Anspruch auf Krankengeld versichert. Der behandelnde Arzt stellt am 1.10.2018 fest, dass der Arbeitnehmer seit dem 30.9.2018 arbeitsunfähig ist. Der Anspruch auf Krankengeld entsteht am 1. Oktober 2018. Zu diesem Zeitpunkt ist der Rentner ohne Anspruch auf Krankengeld versichert.

Dauer des Anspruchs

Die Dauer des Krankengeldanspruchs richtet sich nach § 48 SGB V und umfasst längstens 78 Wochen. Potenzielle Veränderungen, die ohne die Arbeitsunfähigkeit eingetreten wären (z. B. Wechsel von Arbeitslosengeld I zu Arbeitslosengeld II), sind für den Anspruch unerheblich (BSG, Urteil vom 2.11.2007, B 1 KR 38/06 R).

Wenn der Anspruch nach dem Ende der Mitgliedschaft entsteht, dann besteht allenfalls ein „nachgehender“ Krankengeldanspruch nach § 19 Abs. 2 SGB V für längstens einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft. Dieser ist allerdings ausgeschlossen, wenn sich eine anderweitige Mitgliedschaft anschließt (z. B. weil kein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall besteht; vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 13, Abs. 8a Satz 4, § 186 Abs. 11 Satz 1 SGB V).

Versicherungsverhältnis

Anspruch auf Krankengeld haben nur Versicherte einer Krankenkasse (vgl. § 44 Abs. 1 SGB V). Der Anspruch ist unabhängig von der Art des Versicherungsverhältnisses (Versicherungspflicht oder Versicherungsberechtigung). Damit besteht ein Anspruch auf Krankengeld, wenn der Anspruch auf Krankengeld während der Versicherung eintritt.

Bestimmte Versicherte sind vom Anspruch auf Krankengeld ausgeschlossen (vgl. § 44 Abs. 2 SGB V). Dazu gehören u. a.

  • Personen, die Arbeitslosengeld II nach dem SGB II beziehen (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V),
  • Personen, die versicherungspflichtig sind, weil sie keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V);
  • Familienversicherte (vgl. § 10 SGB V),
  • hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige und
  • Versicherte, die bei Arbeitsunfähigkeit nicht für mindestens sechs Wochen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts haben.

Personen ohne anderweitige Absicherung im Krankheitsfall (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V) haben im Ausnahmefall einen Anspruch auf Krankengeld, wenn sie eine mehr als geringfügige abhängige Beschäftigung ausüben. Betroffen sind Personen, die nach der Vollendung des 55. Lebensjahres eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen und wegen ihres Lebensalters versicherungsfrei sind (vgl. § 6 Abs. 3a Satz 1 SGB V). Wenn es bei diesem Personenkreis an einer anderweitigen Absicherung im Krankheitsfall fehlt, dann tritt Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ein.

An einem Anspruch auf Entgeltfortzahlung für mindestens sechs Wochen fehlt es bei

  • Personen in einer unständigen Beschäftigung (vgl. § 27 Abs. 3 Nr. 1 SGB III) sowie
  • Versicherten, deren Beschäftigungsverhältnis im Voraus auf weniger als 10 Wochen befristet ist.

Fortbestehen der Mitgliedschaft

Während des Krankengeldbezugs eines versicherungspflichtigen Mitglieds besteht dessen Mitgliedschaft fort (vgl. § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Das gilt auch, wenn ein Arbeitsverhältnis während der Arbeitsunfähigkeit endet. Dazu ist es erforderlich, dass die Krankenhausbehandlung spätestens am letzten Tag der Versicherungspflicht beginnt bzw. die Arbeitsunfähigkeit spätestens am letzten Tag der Versicherungspflicht ärztlich festgestellt wird (BSG, Urteil vom 10.5.2012, B 1 KR 19/11 R).

Beispiel

Das Arbeitsverhältnis eines versicherungspflichtigen Arbeitnehmers ist zum 30.9.2018 beendet worden. Der behandelnde Arzt stellt am letzten Tag des Arbeitsverhältnisses fest, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist. Der Anspruch auf Krankengeld entsteht am 30.9.2018. Die fortbestehende Mitgliedschaft aufgrund des Anspruchs auf Krankengeld schließt sich unmittelbar an die vorhergehende Mitgliedschaft aufgrund der versicherungspflichtigen Beschäftigung an. Der Anspruch auf Krankengeld entsteht somit während einer Versicherung, in der der Anspruch nicht ausgeschlossen ist.

Bewilligung durch die Krankenkasse

Die Krankenkasse prüft die Voraussetzungen für den Anspruch auf Krankengeld und erlässt darüber einen Verwaltungsakt (BSG, Urteil vom 10.5.2012, B 1 KR 20/11 R). Damit wird Krankengeld für den Abschnitt zugebilligt, für den die Arbeitsunfähigkeit ärztlich bescheinigt ist. Das Gleiche gilt, wenn die Arbeitsunfähigkeit ununterbrochen fortbesteht und darüber eine ärztliche Folgebescheinigung vorgelegt wird.

In den meisten Fällen erlässt die Krankenkasse einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, obwohl dieser durch die ärztlich bescheinigte Dauer der Arbeitsunfähigkeit befristet ist. Im Ausnahmefall handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, wenn über einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum entschieden wird.

Beispiel

Einem versicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer wird für die Zeit vom 1. bis zum 31. Oktober 2018 ärztlich Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Da der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat übersendet ihm die Krankenkasse einen Auszahlungsschein für Krankengeld. Die Krankenkasse hat damit einen Verwaltungsakt über den Anspruch auf Krankengeld für die Zeit vom 1. bis zum 31. Oktober 2018 erlassen. Am 31. Oktober 2018 legt der Versicherte eine weitere am selben Tag ausgestellte ärztliche Bescheinigung vor, nach der über den 31. Oktober 2018 hinaus bis zum 30. November 2018 Arbeitsunfähigkeit besteht. Die Krankenkasse zahlt darauf hin Krankengeld und hat damit einen weiteren Verwaltungsakt über den Anspruch auf Krankengeld dem Grunde nach für die Zeit vom 1. bis zum 30. November 2018 erlassen.

Ende des Anspruchs durch Fristablauf

Wenn der ärztlich bescheinigte Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit abläuft und eine Folgebescheinigung nicht vorgelegt wird, dann verliert der Verwaltungsakt seine Wirksamkeit (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X). Die Krankenkasse kann die Zahlung von Krankengeld ohne Weiteres einstellen. Eines weiteren Bescheids bedarf es dafür nicht.

Beispiel

Einem versicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer wird für die Zeit vom 1. bis zum 31. Oktober 2018 ärztlich Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Eine Folgebescheinigung wird nicht vorgelegt. Da der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat übersendet ihm die Krankenkasse einen Auszahlungsschein für Krankengeld. Die Krankenkasse hat damit einen Verwaltungsakt über den Anspruch auf Krankengeld für die Zeit vom 1. bis zum 31. Oktober 2018 erlassen. Über diesen Zeitraum hinaus ist Krankengeld nicht zu zahlen, ohne dass es darüber einer weiteren Entscheidung der Krankenkasse bedarf.

Ende des Anspruchs durch Aufhebungsbescheid

Die ärztliche Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit ist eine gutachterliche Stellungnahme, auf deren Grundlage die Krankenkasse über den Anspruch auf Krankengeld entscheidet. Für den entsprechenden Zeitraum ist die Krankenkasse an ihre Entscheidung gebunden.

Die Krankenkassen sind darüber hinaus verpflichtet,

  • zur Sicherung des Behandlungserfolgs, insbesondere zur Einleitung von Maßnahmen der Leistungsträger für die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, oder
  • zur Beseitigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit

eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst) einzuholen (vgl. § 275 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a und b SGB V).

Wenn die Krankenkasse aufgrund des Gutachtens des Medizinischen Dienstes zur Erkenntnis kommt, dass die Arbeitsunfähigkeit früher als ursprünglich ärztlich bescheinigt endet, dann ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X).

Beispiel

Einem versicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer wird für die Zeit vom 1. Oktober 2018 bis zum 31. Januar 2019 ärztlich Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Die Krankenkasse übersendet nach dem Ende der Entgeltfortzahlung einen Auszahlungsschein für Krankengeld. Die Krankenkasse hat damit einen Verwaltungsakt über den Anspruch auf Krankengeld für die Zeit vom 1. Oktober 2018 bis zum 31. Januar 2019 erlassen.

Die Arbeitsunfähigkeit wird am 2. November 2018 durch den Medizinischen Dienst begutachtet. Danach kommt die Krankenkasse zu der Erkenntnis, dass die Arbeitsunfähigkeit anders als ursprünglich angenommen in den nächsten 14 Tagen beendet sein wird. Die Krankenkasse hebt ihre ursprüngliche Entscheidung auf und stellt die Zahlung mit dem 16. November 2018 ein. Der entsprechende Aufhebungsbescheid wird am 12. November 2018 wirksam.

Bild: Thorben Wengert  / pixelio.de

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. H.L.

    Wenn die Krankenkasse durch angeblichen MD, also nach Akte entscheidet das z.B.am 16.10.2020 das Krankengeld endet und man ab 16.10.2020 auch nicht mehr versichert ist, wie ist man dann abgesichert? Zahlt man dann weiterlaufende Untersuchungen selbst?! Die Krankenkasse möchte doch nur die Kosten auf das Arbeitsamt abwälzen!
    Widerspruch wurde gegen den Bescheid von der Krankenkasse wurde eingelegt. Sicherheitshalber auch Arbeitslos gemeldet.

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