Krankenkassen – Amtsentbindung oder Amtsenthebung von Organmitgliedern

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  • Beitrag zuletzt geändert am:2. April 2021
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Mitglieder des Verwaltungsrats oder des Vorstands einer Krankenkasse werden auf Zeit gewählt. In bestimmten Fällen können sie vorzeitig ihr Amt durch eine Amtsentbindung oder eine Amtsenthebung verlieren. Darüber hat der Verwaltungsrat einen Beschluss zu fassen und einen Verwaltungsakt zu erlassen. Der betroffene Organwalter kann Rechtsschutz in Anspruch nehmen.

Verwaltungsrat

Amtsentbindung

Die Amtsentbindung wird durchgeführt, wenn die im Gesetz genannten Tatbestände vorliegen (vgl. § 59 Abs. 2 SGB IV). Zuständig ist der Verwaltungsrat (vgl. § 33 Abs. 3 Satz 3 SGB IV). Im Gegensatz zur Amtsenthebung handelt es sich um eine „ehrenhafte“ Entlassung aus der Organmitgliedschaft.

Wichtiger Grund

Das Gesetz nennt zunächst den „wichtigen Grund“ als Tatbestand, der zu einer Amtsentbindung führt. Dabei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der auf der Tatbestandsseite des Rechtssatzes zu einem Auslegungsermessen des Verwaltungsrats führt. Der Ermessensspielraum betrifft nicht die Rechtsfolgenseite, weshalb die Rechtsfolge „Amtsentbindung“ herbeizuführen ist, wenn der Tatbestand gegeben ist.

Der wichtige Grund kann in der Person oder außerhalb der Person des Organmitglieds gegeben sein. In der Person des Organmitglieds liegende Gründe können mangelnde Eignung, Befähigung oder fachliche Leistung sowie gesundheitliche, familiäre oder berufliche Gründe sein. Darüber hinaus ist ein schuldhafter Verstoß gegen Amtspflichten als „wichtiger Grund“ für eine Amtsentbindung anzusehen, wenn Art, Ausmaß und Folge des Verstoßes für eine Amtsenthebung nicht ausreichen.

Außerhalb der Person des Organmitglieds sind u. a. Vereinigung, Auflösung oder Schließung von Krankenkassen wichtige Gründe für eine Amtsentbindung.

Wählbarkeitsvoraussetzungen

Wird erst zu einem späteren Zeitpunkt bekannt, dass die Wählbarkeitsvoraussetzungen zum Zeitpunkt der Wahl nicht vorgelegen haben, ist der Verwaltungsrat gezwungen, die Organmitgliedschaft durch Amtsentbindung zu beenden. Fallen die Wählbarkeitsvoraussetzungen nachträglich weg, ist ein weiterer Tatbestand für eine Amtsentbindung gegeben. Das könnte der Fall sein, wenn die Arbeitgebereigenschaft wegfällt oder das Versicherungsverhältnis beendet wird.

Amtsenthebung

Im Gegensatz zur Amtsentbindung erfolgt die Amtsenthebung nur im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen Amtspflichten in grober Weise und wird als unehrenhafte Entlassung aus der Organmitgliedschaft zu betrachten sein (vgl. § 59 Abs. 3 SGB IV). Zuständig ist ebenfalls der Verwaltungsrat (vgl. § 33 Abs. 3 Satz 3 SGB IV).

Amtspflichten

Die Amtspflichten von Mitgliedern des Verwaltungsrats ergeben sich einerseits aus dem gesetzlichen Auftragder Krankenkasse (vgl. §§ 1 – 4 SGB V) und andererseits aus der Rechtsstellung als Organmitglied einer öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungskörperschaft (vgl. §§ 29 ff SGB IV; BSG, Urteil vom 29.7.1979, 8 b RK 4/79). Dabei haben die Mitglieder des Verwaltungsrats im wohlverstandenen Interesse der Krankenkasse zu handeln und jegliches Handeln zu unterlassen, welches die Krankenkasse schädigen könnte.

Zu den Amtspflichten zählen insbesondere die

  • Wahrung des Sozialgeheimnisses (vgl. § 35 SGB I) und der sonstigen Schweigepflicht und
  • Vermeiden einer Schädigung des Versicherungsträgers durch Handeln oder Unterlassen sowie mangelhafte Organtätigkeit ohne sachlichen Grund.

Verstoß in grober Weise

Der Verstoß gegen Amtspflichten muss in grober Weise erfolgen und somit besonders schwerwiegend sein, insbesondere in seinen Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen dem Versicherungsträger und Dritten oder hinsichtlich des Vermögens des Versicherungsträgers. Auf den Grad des Verschuldens kommt es dabei nicht an. Eine absichtliche Amtspflichtverletzung ist ebenfalls nicht Voraussetzung für eine Amtsenthebung. Ausreichend ist vielmehr eine objektiv grobe Amtspflichtverletzung, die subjektiv vorwerfbar -schuldhaft- ist (BSG, Urteil vom 22.11.1979, 8b RK 3/79).

Beendigung der Organwaltereigenschaft

Die Organmitgliedschaft endet, wenn der Beschlusses über die Amtsentbindung oder die Amtsenthebung unanfechtbar ist (vgl. § 59 Abs. 1 Nr. 3 SGB IV). Sollte sich im Einzelfall die Notwendigkeit ergeben, die Ausübung der Organmitgliedschaft mit sofortiger Wirkung zu unterbinden, bietet sich die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Beschlusses über eine Amtsenthebung an (vgl. § 59 Abs. 3 Satz 2 SGB IV).

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung lässt nicht die materielle Wirkung des zu vollziehenden Beschlusses eintreten. Sie hat vielmehr zur Folge, dass das betroffene Organmitglied an der Ausübung seines Amtes gehindert ist (BSG, Urteil vom 11.3.2009, B 6 KA 15/08 R).

Beschluss über Amtsentbindung oder Amtsenthebung

Der Verwaltungsrat als zuständiges Organ für die Amtsentbindung oder Amtsenthebung hat darüber einen Beschluss zu fassen (vgl. § 59 Abs. 4 SGB IV). Auf Grund des eingleisigen Organsystems bei den Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen sowie Ersatzkassen ist die ausdrückliche Zustimmung des Vorsitzenden des Verwaltungsrats nicht erforderlich. Diese wird vielmehr durch den Beschluss des Verwaltungsrats ersetzt.

Mit der Beschlussfassung tritt allerdings noch keine Wirkung im Verhältnis zum Organmitglied ein. Dazu bedarf es vielmehr des Erlasses eines Verwaltungsakts (vgl. § 31 SGB X) sowie des Eintritts von Unanfechtbarkeit dieser Maßnahme. Der Verwaltungsakt ist vom gesamten Verwaltungsrat zu erlassen, welches durch entsprechende Unterschriften kenntlich wird (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB IV), oder von den dazu befugten Vorsitzenden (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 2 SGB IV). Vertreten die Vorsitzenden des Verwaltungsrats den Versicherungsträger im Zusammenhang mit einer Amtsentbindung oder Amtsenthebung, so bedarf es dazu einer entsprechenden Satzungsbestimmung.

Verwaltungsakt

Der Verwaltungsrat, dem über § 31 Abs. 3 Satz 1 SGB IV bereits Behördeneigenschaft zuwächst, erlässt den Verwaltungsakt als sachlich und örtlich zuständige Behörde im Sinne von § 1 Abs. 2 SGB X, was für den Erlass eines rechtmäßigen Verwaltungsakts unerlässlich ist.

Anhörung

Bevor der Verwaltungsakt allerdings erlassen werden kann, ist dem Organmitglied Gelegenheit zur Äußerung zu gegeben (vgl. § 24 Abs. 1 SGB X), da die beabsichtigte Maßnahme einen Eingriff in die Rechte des Organmitglieds darstellt. Eine unterlassene und nicht rechtswirksam nachgeholte Anhörung führt zur Fehlerhaftigkeit sowie Aufhebbarkeit des Verwaltungsakts (vgl. § 42 SGB X). Die unterlassene Anhörung kann bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozialgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X).

Formfreiheit

Für die Maßnahme gilt der Grundsatz der Formfreiheit (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Der Verwaltungsakt ist allerdings aus Gründen der Rechtssicherheit stets schriftlich zu erlassen. Dazu ist er mit einer Begründung (vgl. § 35 Abs. 1 SGB X) sowie einer Rechtsbehelfsbelehrung (vgl. § 36 SGB X) zu versehen und dem Organmitglied bekannt zu geben (vgl. § 37 SGB X).

Wirksamkeit

Er wird im Zeitpunkt der Bekanntgabe wirksam (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Damit erlangt der Verwaltungsakt materielle Bestandskraft. Die formelle Bestandskraft und damit die Unanfechtbarkeit treten erst zu einem späteren Zeitpunkt ein und setzen voraus, dass ein Rechtsbehelf oder ein Rechtsmittel nicht mehr mit Erfolg eingelegt werden kann. Das ist frühestens nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist (vgl. § 84 Abs. 1 SGG) der Fall.

Werden die gegebenen Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel ausgeschöpft, tritt Unanfechtbarkeit erst mit Eintritt der Rechtskraft eines Gerichtsurteils ein. Erst zu diesem Zeitpunkt endet die Organmitgliedschaft.

Sofortige Vollziehung

Hat der Verwaltungsrat eine Amtsenthebung durchgeführt, kann er die sofortige Vollziehung des Beschlusses anordnen (vgl. § 59 Abs. 3 Satz 2 SGB IV). Dieses kann mit dem Verwaltungsakt über die Amtsenthebung ausgesprochen werden. Es ist allerdings zweckmäßig, die Anordnung des Verwaltungsrats als eigenständigen Verwaltungsakt zu erlassen. Mit der Anordnung verliert das Organmitglied nicht seinen Status. Es ist allerdings gehindert, sein Amt weiterhin auszuüben. Damit ist das Organmitglied u. a. nicht stimmberechtigt bei der Beschlussfassung im Verwaltungsrat.

Widerspruch

Der Widerspruch gegen einen wirksamen Verwaltungsakt über die Amtsentbindung oder Amtsenthebung ohne die Anordnung der sofortigen Vollzeihung hat grundsätzlich aufschiebende Wirkung (vgl. § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG). Diese ist allerdings bedeutungslos, weil die Mitgliedschaft in einem Selbstverwaltungsorgan ohnehin erst mit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit eines entsprechenden Beschlusses eintritt (vgl. § 59 Abs. 1 Nr. 3 SGB IV). Das ist der Fall, wenn die Entscheidung formelle Bestandskraft erlangt hat und ein Rechtsbehelf oder ein Rechtsmittel nicht mehr mit Erfolg eingelegt werden kann.

Ein Widerspruch gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung hat keine aufschiebende Wirkung (vgl. § 86a Abs. 1 Satz 1 i. v. m. Abs. 2 Nr. 5 SGG). Im Wege vorläufigen Rechtsschutzes kann durch das zuständige Sozialgericht allerdings auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise angeordnet werden (vgl. § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG).

Vorstand

Die Amtsdauer der Vorstandsmitglieder endet durch Zeitablauf nach sechs Jahren oder durch eine Amtsentbindung bzw. Amtsenthebung während der laufenden Amtszeit. Für eine Amtsentbindung oder Amtsenthebung ist der Verwaltungsrat zuständig (vgl. § 35a Abs. 7 Satz 1 SGB IV). Amtsentbindung oder Amtsenthebung sind vorzunehmen, wenn

  • ein wichtiger Grund vorliegt,
  • die Voraussetzungen der Wählbarkeit nicht vorgelegen haben,
  • die Voraussetzungen der Wählbarkeit nachträglich weggefallen sind,
  • ein Verstoß gegen Amtspflichten in grober Weise vorliegt,
  • Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung gegeben ist oder
  • das Vertrauen aus sachlichen Gründen entzogen wird

(vgl. § 35a Abs. 7, § 59 Abs. 2 und 3 SGB IV). Durch Zeitablauf oder durch eine Amtsentbindung oder Amtsenthebung wird die organrechtliche Stellung des Vorstandsmitglieds beendet. Davon unabhängig ist die dienstrechtliche Stellung zu betrachten, die u. U. weiter bestehen kann.

Zusätzlich zu den in § 59 Abs. 2 und 3 SGB IV genannten Tatbeständen hat der Verwaltungsrat auch bei Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung und eines Vertrauensentzugs aus nicht offensichtlich unsachlichen Gründen eine Amtsentbindung oder Amtsenthebung durchzuführen (vgl. § 35a Abs. 7 Satz 2 SGB IV). Die Begriffsinhalte sind mit § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG identisch.

Es liegt im Ermessen des Verwaltungsrats, aufgrund des eingetretenen Tatbestands eine Amtsentbindung oder eine Amtsenthebung durchzuführen. Der Verwaltungsrat hat somit aufgrund dieser besonderen Tatbestände die Möglichkeit, den sofortigen Vollzug seines Beschlusses anzuordnen (vgl. § 59 Abs. 3 Satz 2 SGB IV).

Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung

Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung liegt vor, wenn dem Vorstandsmitglied die zur Amtsausübung notwendigen Kenntnisse generell oder zur Bewältigung einer bestimmten Ausnahmesituation fehlen, wenn die Unverträglichkeit mit anderen Vorstandsmitgliedern die kollegiale Zusammenarbeit gefährdet oder ausschließt oder eine lang andauernde Krankheit gegeben ist.

Vertrauensentzug

Ein Vertrauensentzug aus nicht offensichtlich unsachlichen Gründen erfordert einen Beschluss des Verwaltungsrats, durch den der Vertrauensverlust festgestellt wird. Der Vertrauensentzug muss im weitesten Sinne mit der Erfüllung der Aufgaben der Krankenkasse zusammenhängen.

Beendigung der Organwalterstellung

Hinsichtlich der Beendigung der Organwalterstellung bietet sich eine analoge Anwendung des § 59 Abs. 1 Nr. 3 SGB IV an. Die Organmitgliedschaft endet mit Eintritt der Unanfechtbarkeit eines Beschlusses über die Amtsentbindung oder die Amtsenthebung (vgl. § 59 Abs. 1 Nr. 3 SGB IV).

Sollte sich im Einzelfall die Notwendigkeit ergeben, die Ausübung der Organmitgliedschaft mit sofortiger Wirkung zu unterbinden, bietet sich die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Beschlusses über eine Amtsenthebung an (vgl. § 59 Abs. 3 Satz 2 SGB IV). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung lässt nicht die Wirkung des zu vollziehenden Beschlusses eintreten. Sie hat zur Folge, dass das Organmitglied, gegen das sich der Amtsenthebungsbeschluss richtet, an der Ausübung seines Amtes verhindert ist.