Leistungen der Krankenkasse – Kostenerstattung

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  • Beitrags-Kategorie:Fachliteratur
  • Beitrag zuletzt geändert am:27. April 2022
  • Lesedauer:26 min Lesezeit

Versicherte gesetzlicher Krankenkassen erhalten ihre Leistungen grundsätzlich als Sach-, Dienst- oder Geldleistung. Eine Kostenerstattung anstelle einer Sach- oder Dienstleistung ist nur in gesetzlich geregelten Ausnahmefällen möglich. Ergänzend dazu erkennt die Rechtsprechung Ausnahmen bei einem Systemversagen oder in einem Seltenheitsfall an. Versicherte haben auch die Möglichkeit, anstatt der Sach- und Dienstleistungen die Kostenerstattung zu wählen.

Rechtsgrundlagen

Grundsatz und Ausnahmen der Kostenerstattung regeln § 13 SGB V und 18 SGB IX. Den Sonderfall der Teilkostenerstattung für DO-Angestellte und Versorgungsempfänger der Krankenkassen und ihrer Verbände, Beamte einer Betriebskrankenkasse und Beamte der knappschaftlichen Krankenversicherung enthält § 14 SGB V. Die Kostenerstattung für Arzneimittel im Einzelfall ergibt sich aus § 129 Abs. 1 Satz 6 SGB V.

Der Anspruch auf Kostenerstattung bei Systemversagen (BSG, Urteil v. 16.1.2020, B 1 KR 18/19 R) oder in einem Seltenheitsfall (BSG, Urteil v. 20.3.2018, B 1 KR 4/17 R) ist durch die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entwickelt worden. Die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgegebenen Kriterien für Leistungen bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen enthält § 2 Abs. 1a SGB V. Über die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V hat das BSG mit zahlreichen Urteilen entschieden (stellvertretend: BSG, Urteil v. 26.5.2020, B 1 KR 21/19). Die Genehmigungsfiktion berechtigt den Versicherten, die Leistung selbst zu beschaffen und begründet einen Erstattungsanspruch (Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung; BSG, Urteil v. 26.5.2020, B 1 KR 9/18 R). Der GKV-Spitzenverband hat über die Genehmigungsfiktion ein Gemeinsames Rundenschreiben veröffentlicht (GR v. 26.9.2018).

Wahlrecht

Personenkreis

Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen und ihre nach § 10 SGB V versicherten Familienangehörigen können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen (Behandlung als Versicherter einer gesetzlichen Krankenkasse durch Vorlage der elektronischen Gesundheitskarte) die Kostenerstattung (Behandlung als Privatpatient) wählen (§ 13 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Das Wahlrecht steht jedem Versicherten zu und kann unabhängig voneinander und unterschiedlich ausgeübt werden. Versicherte, die das 15. Lebensjahr vollendet haben, treffen ihre Entscheidung selbst. Die Krankenkasse soll den gesetzlichen Vertreter über das ausgeübte Wahlrecht unterrichten (§ 36 Abs. 1 SGB I).

Das Wahlrecht wird durch eine einseitige und empfangsbedürftige Willenserklärung des Versicherten ausgeübt. Eine bestimmte Form ist im Gesetz nicht vorgeschrieben. Die Satzung der Krankenkasse kann allerdings die Schriftform fordern.

Der Versicherte hat seine Krankenkasse über die Wahl der Kostenerstattung zu informieren, bevor er Leistungen in Anspruch nimmt (§ 13 Abs. 2 Satz 2 SGB V; BSG, Urteil v. 25.9.2000, B 1 KR 5/99 R). Der Leistungserbringer hat den Versicherten darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von ihm zu tragen sind (§ 13 Abs. 2 Satz 3 SGB V).

Bindungswirkung

An die Wahl der Kostenerstattung ist der Versicherte mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden (§ 13 Abs. 2 Satz 12 SGB V). Ein Kalendervierteljahr umfasst jeweils die Monate Januar bis März, April bis Juni, Juli bis September oder Oktober bis Dezember. Die Frist beginnt an dem Tag, an dem die Willenserklärung des Versicherten der Krankenkasse zugeht. Sie endet, wenn mindestens ein vollständiges Kalendervierteljahr abgelaufen ist. Nach der Mindestbindung kann die Wahl jederzeit mit Wirkung für die Zukunft beendet werden.

Die Satzung der Krankenkasse kann eine Kündigungsfrist vorsehen (z. B. 2 Wochen zum Ende eines Kalendervierteljahres).
Das Wahlrecht und die Kündigung werden durch eine Erklärung gegenüber der Krankenkasse ausgeübt. Bei einem Wechsel der Krankenkasse (Krankenkassenwahlrecht) ist das Wahlrecht erneut zu erklären.

Leistungsbeschränkung

Die Wahl der Kostenerstattung kann auf
· die ambulante ärztliche oder zahnärztliche Behandlung,
· den stationären Bereich oder
· ärztlich/zahnärztlich veranlasste ambulante Leistungen
beschränkt werden.

Die Leistungsbereiche können einzeln oder auch in Kombination gewählt werden. Entscheidet sich der Versicherte z. B. bei der Behandlung durch einen Allgemeinarzt für die Kostenerstattung, gilt diese Wahl für den gesamten Bereich der ambulanten ärztlichen Behandlung. Dazu gehört auch eine ggf. später notwendige fachärztliche Behandlung. Bei veranlassten Leistungen lässt das Gesetz offen, ob die Wahl für sämtliche oder nur für einzelne veranlasste Leistungen (z. B. Leistungsart Heilmittel) möglich ist. Es ist daher davon auszugehen, dass die Wahl auch nur für einzelne veranlasste Leistungen erfolgen kann. Zu den „veranlassten Leistungen“ gehören vom behandelnden Arzt verordnete Leistungen wie z. B. Arznei-, Heil- und Hilfsmittel oder häusliche Krankenpflege.

Beschränkt der Versicherte die Kostenerstattung auf einzelne Versorgungsbereiche, ist auch dabei die Bindungswirkung für die Dauer eines Kalendervierteljahres zu beachten.

Leistungsumfang

Die Kostenerstattung ist auf die Vergütung begrenzt, die von der Krankenkasse für eine Sach- oder Dienstleistung erbracht worden wäre (§ 13 Abs. 2 Satz 8 SGB V). Dabei muss es sich um Sach- oder Dienstleistungen handeln, die zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehören (BSG, Urteil v. 8.9.2009, B 1 KR 1/09 R).

Das Verfahren der Kostenerstattung wird durch die Satzung der Krankenkasse geregelt (§ 13 Abs. 2 Satz 9 SGB V). Die Satzung kann außerdem vorsehen, dass ein Abschlag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 % des Erstattungsbetrags abgezogen wird. Die Satzungsbestimmung ist in das Ermessen des Satzungsgebers (z. B. Verwaltungsrat) gestellt.

Beispiel – Ermittlung des Erstattungsbetrags

Erstattungsfähiger Rechnungsbetrag

./. Rabatte
./. Mehrkosten für Arzneimittel
./. Zuzahlungen
= Erstattungsbetrag (vorläufig)
./. Abschlag für Verwaltungskosten

= Erstattungsbetrag (endgültig)

Versicherte, die die Kostenerstattung gewählt haben, begründen mit dem Leistungserbringer private Rechtsbeziehungen. Mit dem behandelnden Arzt wird ein Behandlungsvertrag geschlossen (wie bei Privatpatienten). Dem Versicherten werden im Regelfall die vom Arzt/Zahnarzt in Rechnung gestellten Kosten durch die Krankenkasse nicht in voller Höhe erstattet. Die Leistungsentgelte für eine privatärztliche Behandlung (Honorarsätze nach der Gebührenordnung für Ärzte/Zahnärzte) liegen deutlich über denen, die bei einer vertragsärztlichen Behandlung anfallen würden und die von der Krankenkasse zu erstatten sind. Darüber hat der Leistungserbringer den Versicherten vor der Behandlung zu informieren (§ 13 Abs. 2 Satz 3 SGB V).

Zuzahlungen

Die gesetzlichen Zuzahlungen sind abzuziehen. Dazu gehören alle für die Versicherten unmittelbar wirkenden Eigenbeteiligungen (z. B. Arzneimittelzuzahlungen). Schließlich sind die den Krankenkassen bei der Vergütung von Sachleistungen im Verhältnis zu den Leistungserbringern zustehenden Rabatte (z. B. der Apothekenrabatt nach § 130 SGB V oder der Herstellerrabatt nach § 130a SGB V) sowie die Mehrkosten von Arzneimitteln abzuziehen.

Höhe des ärztlichen/zahnärztlichen Honorars

Die Höhe des ärztlichen Privathonorars bemisst sich nach dem Einfachen bis 3,5-Fachen des Gebührensatzes (§ 5 Abs. 1 GOÄ). Innerhalb dieses Gebührenrahmens kann der Arzt unter Berücksichtigung der Schwierigkeit, des Zeitaufwands sowie der Umstände bei der Ausführung sein Honorar nach seinem Ermessen bestimmen. In der Regel darf ein Honorar nur zwischen dem Einfachen und dem 2,3-Fachen des Gebührensatzes berechnet werden. Ein Überschreiten bis zum 3,5-fachen des Gebührensatzes ist nur zulässig, wenn Schwierigkeit oder Zeitaufwand der einzelnen Leistung dieses rechtfertigen.

Kosten für Maßnahmen, die im Rahmen einer ausreichenden und zweckmäßigen medizinischen Versorgung nicht erforderlich sind, werden von den Krankenkassen nicht erstattet. Sie gehören nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung.

Arzneimittel

Der Versicherte kann abweichend von der vierteljährlichen Mindestbindungsfrist die Kostenerstattung für Arzneimittel in Anspruch nehmen (§ 129 Abs. 1 Satz 6 SGB V). Die Entscheidung kann durch den Versicherten im Einzelfall getroffen werden. Eine vorherige Erklärung gegenüber der Krankenkasse ist nicht erforderlich. Der Anspruch auf Kostenerstattung entsteht, wenn der Versicherte ein anderes als das preisgünstigste wirkstoffgleiche Arzneimittel wählt. Bei der Erstattung sind Eigenbeteiligungen und Rabatte zu berücksichtigen.

Die Kosten werden von der Krankenkasse erstattet, wenn sich der Versicherte für ein Arzneimittel entscheidet, das nicht von der Krankenkasse im Rahmen von Rabattverträgen (§ 130a Abs. 8 SGB V) vorgesehen ist.

Zugelassene Leistungserbringer

Die Aufwendungen des Versicherten werden von der Krankenkasse regelmäßig nur dann erstattet, wenn sie von Leistungserbringern erbracht werden, die im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind (§ 13 Abs. 2 Satz 5 SGB V). Falls eine Zulassung nicht erforderlich ist, genügt es, dass der Leistungserbringer im SGB V als solcher benannt ist (z. B. Apotheker).

Nicht zugelassene Leistungserbringer

Wählt der Versicherte einen Arzt oder Zahnarzt, der nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist, ist im Einzelfall eine Kostenerstattung möglich (§ 13 Abs. 2 Satz 5, 6 SGB V). Dazu ist eine vorherige Zustimmung der Krankenkasse erforderlich. Im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung hat die Krankenkasse medizinische oder soziale Gründe zu berücksichtigen. Sie muss dabei gleichzeitig bewerten, ob eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass von Art und Umfang der begehrten Leistungen aus Qualitätsgesichtspunkten nur die im Rahmen einer Sachleistung zugelassenen Leistungen erstattungsfähig sind.

Die im Gesetz als Rechtfertigungsgrund für eine Inanspruchnahme eines Nicht-Vertragspartners aufgeführten medizinischen oder sozialen Gründe dürften insbesondere in der jeweiligen regionalen Versorgungssituation zu suchen sein. Neben der vorausgesetzten vergleichbaren Qualität des Leistungserbringers müssen weitere Gründe für die Inanspruchnahme dieses Leistungserbringers sprechen. Diese können etwa darin liegen, dass bei einer speziellen medizinischen Indikation oder aufgrund des Alters oder sonstiger körperlicher Beeinträchtigungen des Versicherten in der Region in zumutbarer Entfernung keine vertragsgemäßen Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen.
Kosten für Ärzte oder Zahnärzte, die kollektiv auf ihre Zulassung als Vertragsarzt verzichtet haben (§ 95b Abs. 3 Satz 1 SGB V), werden nicht erstattet (§ 13 Abs. 2 Satz 7 SGB V).

Verzicht des Arztes auf Zulassung

Ein Arzt oder Zahnarzt, der kollektiv mit seinen Standeskollegen auf seine Zulassung verzichtet hat, darf im Rahmen der Kostenerstattung nicht in Anspruch genommen werden. Davon kann nur in Notfällen abgesehen werden (BSG, Urteil v. 27.6.2007, B 6 KA 37/06 R).

Verfahren

Die Satzung der Krankenkasse regelt das Verfahren der Kostenerstattung (§ 13 Abs. 2 Satz 9 SGB V). Dabei können Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten bis zu 5 % der Kosten vorgesehen werden (§ 13 Abs. 2 Satz 10 SGB V). In der Satzung können u. a.
· die Form der Wahlerklärung oder der Kündigung,
· die Inanspruchnahme nicht zugelassener Leistungserbringer,
· die Beschränkung auf einzelne Versorgungsbereiche,
· die Bindung an die Wahl der Kostenerstattung und deren Verlängerung,
· eine Kündigungsfrist,
· der Nachweis des Erstattungsanspruchs,
· der Abschlag für Verwaltungskosten (bis zu 5 % des Erstattungsbetrags) und
· die Vereinfachung der Kostenerstattung
geregelt werden.

Wahltarife

Eine Krankenkasse kann in ihrer Satzung für ihre Versicherten Tarife für die Erstattung von Kosten vorsehen (§ 53 Abs. 4 SGB V). Die Höhe der Kostenerstattung kann variieren und spezielle Prämienzahlungen können vorgesehen werden. Dabei können auch nicht zugelassene Leistungserbringer in Anspruch genommen werden. Ein Wahltarif kann alternativ zur Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 SGB V beansprucht werden. Der Versicherte ist mindestens 1 Jahr an den Wahltarif gebunden (§ 53 Abs. 8 Satz 1 SGB V).

Unaufschiebbare Leistung

Konnte eine unaufschiebbare Leistung von der Krankenkasse nicht rechtzeitig erbracht werden, hat der Versicherte Anspruch auf Kostenerstattung für selbst beschaffte Leistungen (§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Dabei handelt es sich um Leistungen,
· die zum Leistungsumfang der Krankenversicherung gehören,
· aus medizinischen Gründen nicht aufschiebbar sind und
· von der Krankenkasse nicht oder nicht in der gebotenen Zeit erbracht werden können (BSG, Urteil v. 13.7.2018, B 1 KR 29/17 R).

Kostenerstattung kommt regelmäßig bei einer Notfallbehandlung (BSG, Urteil v. 8.9.2015, B 1 KR 14/14 R) oder einer Krankenhausbehandlung vor deren Genehmigung durch die Krankenkasse in Betracht. Dazu kann es z. B. kommen, wenn Ärzte oder Zahnärzte in einer Region durch einen kollektiven Verzicht auf ihre Zulassung aus der Versorgung ausscheiden. Zu erstatten sind die dem Versicherten tatsächlich entstandenen Kosten, vermindert um Beträge für Zuzahlungen und Kosten, die dem Versicherten bei Inanspruchnahme der Leistung als Sach- oder Dienstleistung auch entstanden wären (BSG, Urteil v. 17.2.2010, B 1 KR 10/09 R).

Wird die Behandlung durch einen Psychotherapeuten erbracht, muss dieser die Voraussetzungen nach § 95c SGB V erfüllen (§ 13 Abs. 3 Satz 3 SGB V).

Die Regelung findet keine Anwendung auf Ansprüche, die unmittelbar auf eine Geldleistung gerichtet sind (z. B. Krankengeld; BSG, Urteil v. 8.3.2016, B 1 KR 25/15 R).

Rechtswidrige Ablehnung einer Leistung

Hat die Krankenkasse eine notwendige Dienst- oder Sachleistung zu Unrecht abgelehnt und sich der Versicherte aus diesem Grunde die Leistung selbst beschafft, sind dem Versicherten die für die selbstbeschaffte Leistung tatsächlich entstandenen Kosten zu erstatten (§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Entsprechenden Sachverhalten liegt ein rechtswidriger, nicht begünstigender Verwaltungsakt zugrunde. Er ist durch
· die Krankenkasse (§ 44 SGB X),
· die Widerspruchsstelle (§ 85 Abs. 1 SGG) oder
· ein Sozialgericht
aufzuheben.

Der Anspruch auf Kostenerstattung ist gegeben, wenn
· die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt,
· der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat,
· ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht,
· die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und
· die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (BSG, Urteil v. 18.12.2018, B 1 KR 34/17 R).

Zu erstatten sind die dem Versicherten tatsächlich entstandene Kosten, vermindert um Zuzahlungen und Kostenanteile (Kosten, die dem Versicherten bei Inanspruchnahme der Leistung als Sach- oder Dienstleistung auch entstanden wären).

Die Kosten für selbst beschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation werden nach § 18 Abs. 6 SGB IX erstattet (§ 13 Abs. 3 Satz 2 SGB V). Die Regelung ist identisch mit § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V.

Verspäteter Entscheid der Krankenkasse über den Leistungsantrag

Die Krankenkasse hat nach einem Leistungsantrag innerhalb von 3 Wochen zu entscheiden (§ 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V). Die Frist verlängert sich auf 5 Wochen, wenn die Krankenkasse eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes (MD) einholt. Wird bei zahnärztlichen Leistungen ein Gutachterverfahren nach § 87 Abs. 1c SGB V durchgeführt, verlängert sich die Frist auf 6 Wochen. Wenn die Frist von der Krankenkasse nicht eingehalten wird, hat sie dieses dem Versicherten vor dem Ablauf der Frist schriftlich mitzuteilen und dabei die Gründe darzulegen (§ 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V).

§ 13 Abs. 3a SGB V erfasst alle Dienst- und Sachleistungen. Außerdem gehören dazu Geldleistungen, die Sachleistungen ersetzen (z. B. die Kostenerstattung für eine selbstbeschaffte Haushaltshilfe; § 38 SGB V) oder einen Zuschuss zu einer Sachleistung darstellen (z. B. Festzuschuss für eine Zahnersatzversorgung; § 55 Abs. 5 SGB V). Unterhaltssichernde Leistungen (z. B. Krankengeld) sind durch die Vorschrift nicht erfasst (BSG, Urteil v. 8.3.2016, B 1 KR 25/15 R).

· Der MD gibt sein Gutachten innerhalb von 3 Wochen ab.
· Ein zahnärztlicher Gutachter hat innerhalb von 4 Wochen Stellung zu nehmen.
· Das Gutachterverfahren Psychotherapie sieht eine Frist von 2 Wochen vor.

Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14 bis 24 SGB IX.

Beispiel – Entscheidungsfrist

Ein Versicherter beantragt am 27.4.2022 eine Leistung (Antragseingang bei der Krankenkasse). Die Krankenkasse hat spätestens am 18.5.2022 zu entscheiden. Die Frist verlängert sich auf den 1.6.2022, wenn ein Gutachten des MD eingeholt wird.

Die beantragte Leistung gilt als genehmigt, wenn innerhalb der maßgebenden Frist nicht entschieden wird und die Krankenkasse dafür keine hinreichenden Gründe genannt hat (Genehmigungsfiktion). Ob die Frist eingehalten wurde, richtet sich nach dem Datum, an dem die Entscheidung bekannt gegeben wurde (BSG, Urteil v. 11.7.2017, B 1 KR 26/16 R). Die unterlassene oder verspätete Entscheidung ist ein spezifisches Systemversagen der Krankenkasse (§ 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V). Danach kann sich der Versicherte die Leistung selbst beschaffen und hat einen Anspruch auf Erstattung der Kosten gegen die Krankenkasse (BSG, Urteil v. 26.5.2020, B 1 KR 9/18 R). Der Kostenerstattungsanspruch ist gerichtlich durchsetzbar.

· Der Kostenerstattungsanspruch aufgrund einer Genehmigungsfiktion erstreckt sich auch auf eine Leistung, die nicht zum Leistungskatalog der Krankenkasse gehört.
· Die Krankenkasse ist nicht gehindert, über die beantragte Leistung abschließend durch einen Verwaltungsakt zu entscheiden. Wurde die Leistung durch den Versicherten bis dahin nicht selbst beschafft, hat sich die Genehmigungsfiktion erledigt und der Kostenerstattungsanspruch erlischt.

Hinreichender Grund

Hinreichender Grund ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der auszulegen ist. Ermessen der Krankenkasse ist damit nicht verbunden. Damit ist die Auslegung auch gerichtlich nachprüfbar. Ein hinreichender Grund kann sich insbesondere im Rahmen der Amtsermittlung (§ 20 SGB X) ergeben, wenn für eine abschließende Entscheidung weitere Informationen einzuholen sind.

Ein hinreichender Grund ist die Coronavirus-Pandemie, wenn die Krankenkasse trotz erforderlich ergriffener Maßnahmen nicht in der Lage ist, ein angemessenes Verwaltungshandeln aufrechtzuerhalten (RS 2020/151 des GKV-Spitzenverbandes v. 10.3.2020). Das gilt ebenso für den MD, wenn dieser wegen der Pandemie nicht mehr in Lage ist, ein zeitgerechtes Gutachterverfahren durchzuführen.

Hinreichende Gründe können sein:
· Fehlende oder unvollständige Angaben von Tatsachen durch Leistungsberechtigte oder Dritte (z. B. Leistungserbringer).
· Unterlassene oder mangelhafte Mitwirkung des Leistungsberechtigten bei erforderlicher körperlicher Befunderhebung durch den Gutachter (BSG, Urteil v. 27.8.2019, B 1 KR 1/19 R).
· Verzögerungen, die vom Leistungsberechtigen zu verantworten sind.
· Fehlende Zustimmung des Leistungsberechtigten zur Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte.

Die Genehmigungsfiktion tritt nicht ein, wenn ein Leistungsanspruch rechtsmissbräuchlich geltend gemacht wird. Die beanspruchte Leistung darf nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegen (z. B. aufgrund einer überschrittenen Altersgrenze bei künstlicher Befruchtung; BSG, Urteil v. 27.8.2019, B 1 KR 8/19 R).

Die Genehmigungsfiktion tritt nicht ein, wenn die Krankenkasse innerhalb der gesetzlichen Frist mitteilt, warum sie nicht entscheidet. Gleichzeitig ist eine angemessene Frist zu nennen, innerhalb der prognostisch die Entscheidung getroffen werden wird. Die hinreichenden Gründe können von der Krankenkasse wiederholt genannt werden, jeweils mit einer taggenauen Prognose über die zu treffende Entscheidung versehen (BSG, Urteil v. 8.3.2016, B 1 KR 25/15 R).

Selbst beschaffte Leistung nach Fristablauf

Versicherte sind berechtigt, sich die Leistung nach der abgelaufenen Frist selbst zu beschaffen (§ 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V). Die Krankenkasse ist dann verpflichtet, die entstandenen Kosten zu erstatten. Zu erstatten sind auch Leistungen durch nicht zugelassene Leistungserbringer (BSG, Urteil v. 26.9.2017, B 1 KR 6/17 R).

Der Versicherte ist dabei weder verpflichtet, sich die genehmigte Leistung im Inland zu verschaffen noch die Bedingungen einer Auslandsversorgung einzuhalten. Es fehlt bei einer rechtswidrigen Leistungsablehnung ein innerer Grund, den Kreis der Leistungserbringer entsprechend einzuschränken. Auch im Ausland praktizierende Ärzte unterliegen den Sorgfalts- und ggf. Schadensersatzpflichten. Sie bieten grundsätzlich die Gewähr für eine ordnungsgemäße Leistungserfüllung (BSG, Urteil v. 11.9.2018, B 1 KR 1/18 R).

· Die Krankenkasse hat die entstandenen Kosten auch dann zu erstatten, wenn sie höher als die Kosten sind, die bei einer rechtzeitigen Leistung entstanden wären.
· Kann der Versicherte zwischen mehreren vergleichbaren Leistungen wählen, hat er sich für die kostengünstigere zu entscheiden. Ihn trifft eine „Schadenminderungspflicht“.
· Wird die selbstbeschaffte Leistung über einen Kredit finanziert, sind die Kreditzinsen als notwendige Beschaffungskosten zu erstatten.
· Der Versicherte trägt die Kosten selbst, die er auch bei einer rechtzeitigen Leistung der Krankenkasse getragen hätte (z. B. Zuzahlungen).

Kostenerstattung in besonderen Fällen

Rückwirkende Feststellung der Versicherung

Wenn rückwirkend ein Versicherungsverhältnis festgestellt und Beiträge nacherhoben werden, steht dem ein Leistungsanspruch gegenüber (BSG, Urteil v. 18.1.1990, 4 RK 4/88). Hat der Versicherte aus Unkenntnis der Versicherungspflicht die Sach- und Dienstleistungen der Krankenkasse nicht in Anspruch nehmen können, steht ihm eine Kostenerstattung in Höhe der sonst von der Krankenkasse zu erbringenden Aufwendungen zu. Der Erstattungsanspruch vermindert sich um die bei Inanspruchnahme der Sach- und Dienstleistung zu leistenden Zuzahlungen oder Kostenanteile.

Systemversagen

Durch die Richtlinie zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (MVV-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) wird festgelegt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (z. B. Ärzte oder Zahnärzte) Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden zulasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Gleichzeitig wird durch die Richtlinie der Umfang der geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (BSG, Urteil v. 3.7.2012, B 1 KR 23/11 R). Ärztliche/zahnärztliche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die (noch) nicht in die Richtlinie aufgenommen sind, werden von den Krankenkassen nicht übernommen. Die Krankenkasse erlässt darüber einen Verwaltungsakt.

Ein Anspruch auf Kostenerstattung ergibt sich, wenn das Verfahren vor dem G-BA von den antragsberechtigten Stellen oder dem G-BA
· überhaupt nicht,
· nicht zeitgerecht oder
· nicht ordnungsgemäß
betrieben wird und dies auf eine willkürliche oder sachfremde Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung zurückzuführen ist (BSG, Urteil v. 18.12.2018, B 1 KR 34/17 R) oder ein Beschluss gegen höherrangiges Recht verstößt (BSG, Urteil v. 2.9.2014, B 1 KR 3/13 R). Der Verwaltungsakt der Krankenkasse stellt sich als rechtswidrig dar und ist aufzuheben.

Zu einem Systemversagen kommt es, wenn der G-BA aus sachfremden Gründen die ihm als Normgeber obliegende Beobachtungspflicht verletzt, indem er eine neue Studienlage übergeht, die nach den gesetzlichen Maßstäben Anlass zur erneuten Überprüfung eines einmal gefassten Gruppenbildungsbeschlusses gibt.

Lebensbedrohliche Erkrankungen

Versicherte, die an einer
· lebensbedrohlichen Erkrankung,
· regelmäßig tödlichen Erkrankung oder
· wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung (BSG, Urteil v. 27.3.2007, B 1 KR 17/06 R)
leiden, können Leistungen beanspruchen, die nicht als Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden durch den Gemeinsamen Bundesausschuss zugelassen sind (§ 2 Abs. 1a SGB V). Es muss eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehen. Die Leistung ist vor dem Beginn der Behandlung zu beantragen. Die Krankenkasse erklärt die Kostenübernahme. Erklärt die Krankenkasse nicht die Kostenübernahme, kann der Versicherte verlangen, dass die von ihm getragenen Kosten erstattet werden.

Seltenheitsfall

Die Krankenkasse ist ausnahmsweise auch außerhalb ihres Leistungskatalogs in einem Seltenheitsfall leistungspflichtig (BSG, Urteil v. 20.3.2018, B 1 KR 4/17 R). Kosten einer selbst beschafften Leistung sind zu erstatten. Ein Seltenheitsfall setzt voraus, dass eine Krankheit weltweit nur extrem selten auftritt und deshalb im nationalen wie im internationalen Rahmen weder systematisch erforscht noch systematisch behandelt werden kann.

Geringe Patientenzahlen stehen einer wissenschaftlichen Erforschung nicht entgegen, wenn die Ähnlichkeit zu weit verbreiteten Erkrankungen eine wissenschaftliche Erforschung ermöglicht.

Spezialgesetzliche Fälle

Das SGB V enthält weitere spezialgesetzliche Vorschriften zur Kostenerstattung, z. B. bei häuslicher Krankenpflege oder Haushaltshilfe durch eine selbst beschaffte Kraft.

Ärzte-Hopping

Die Krankenkassen und ihre Verbände können mit den Leistungserbringern Modellvorhaben vereinbaren, um eine unkoordinierte Mehrfachinanspruchnahme von Vertragsärzten durch die Versicherten zu vermeiden. Wird ein Vertragsarzt weder
· als erster Arzt in einem Behandlungsquartal noch
· mit Überweisung noch
· zur Einholung einer Zweitmeinung
in Anspruch genommen, können die Kosten direkt mit dem Versicherten abgerechnet werden. Dieser ist dann auf die Kostenerstattung durch seine Krankenkasse verwiesen.

Teilkostenerstattung

Die Satzung der Krankenkasse kann für bestimmte Versicherte anstelle der Leistungen nach dem SGB V einen Anspruch auf Teilkostenerstattung vorsehen. Der Personenkreis umfasst (§ 14 Abs. 1 Satz 1 SGB V)
· Beschäftigte und Versorgungsempfänger der Krankenkassen und ihrer Verbände, für die eine Dienstordnung gilt (DO-Angestellte), sowie
· Beamte und Ruhestandsbeamte, die in einer Betriebskrankenkasse oder der knappschaftlichen Krankenversicherung (Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See) tätig sind.

Die Teilkostenerstattung ergänzt die Beihilfeansprüche der Beschäftigten. Sie kann jeweils im Voraus für die Dauer von 2 Jahren gewählt werden. Die Wahl gilt auch für familienversicherte Angehörige.

Die Satzung legt die Höhe des Erstattungsanspruchs fest und regelt das Nähere über die Durchführung des Erstattungsverfahrens. Die Satzung kann einen Wahltarif mit entsprechender Prämienzahlung anbieten, um den eingeschränkten Leistungsanspruch auszugleichen (z. B. Wahltarif Prämienzahlung bei Leistungsbeschränkungen für Versicherte, die Teilkostenerstattung nach § 14 SGB V gewählt haben).

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Manfred Rost

    Werden Fahrtkosten zur Bestrahlungsbhandlung wegen Krebs erstattet??

  2. Monika Siegert

    Mein Ehemann wurde von seiner Hautärztin zu einem Professor geschickt, Verdacht auf Krebs.
    Er wurde musste stationär ins Krankenhaus, jetzt kamen die Rechnungen
    und die BEK erstattet bei zwei Rechnungen nichts, es wäre kein zugelassener
    Arzt der Ärzteverrechnungsstelle.
    Einen Teil hat die {DVK) Zusatzversicherung für privaten Krankenhausaufenthalt
    Unternommen.
    Woher soll ein Patient wissen das der Arzt nicht zugelassen ist.

    Wir mussten bis jetzt 650.00 über nehmen.

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