Die stufenweise Wiedereingliederung in das Arbeitsleben erleichtert arbeitsunfähigen Arbeitnehmern, in das aktive Erwerbsleben zurückzukehren. Dies geschieht durch eine allmähliche Steigerung der beruflichen Belastung. Der Arbeitnehmer ist während der Wiedereingliederung weiterhin arbeitsunfähig. Unterhaltssichernde Leistungen zahlt die Krankenkasse oder der Rentenversicherungsträger. Ein Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht während dieser Zeit nicht, kann aber im Stufenplan vereinbart werden. Die Wiedereingliederung kann von der Krankenkasse angeregt werden. Die Maßnahme wird durch den Arbeitgeber im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements durchgeführt. Darüber ist mit dem Arbeitnehmer eine Vereinbarung zu treffen. Für unterhaltssichernde Leistungen ist vorrangig der Rentenversicherungsträger zuständig. Daraus kann sich ein Erstattungsanspruch der Krankenkasse ergeben. Freiwillige Leistungen des Arbeitgebers sind auf das Kranken- oder Übergangsgeld anzurechnen.
Gesetze, Vorschriften, Rechtsprechung
Eine Verpflichtung aller Rehabilitationsträger, die stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben zu fördern, regelt § 44 SGB IX. Eine spezielle Vorschrift für die Krankenversicherung enthält § 74 SGB V. Die Vorschrift bindet die Vertragsärzte und konkretisiert deren Pflichten. Kranken- und Rentenversicherung haben die Zuständigkeitsabgrenzung bei stufenweiser Wiedereingliederung nach § 44 i. V. m. § 71 Abs. 5 SGB IX vereinbart.
Vertragsarzt, Arbeitgeber, Betriebsarzt, Krankenkasse und Medizinischer Dienst (MD) werden durch die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung zur Zusammenarbeit verpflichtet (Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie). Dabei ist § 7 der Begutachtungsanleitung Arbeitsunfähigkeit zu beachten.
Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grenzt die Zuständigkeit verschiedener Sozialversicherungsträger ab (BSG, Urteil v. 20.10.2009, B 5 R 44/08 R). Fahrtkosten zur Arbeitsstelle werden während der Eingliederung nicht erstattet (BSG, Urteil v. 16.5.2024, B 1 KR 7/23 R).
Ziel
Die stufenweise Wiedereingliederung eines Arbeitnehmers soll
• dessen medizinische Rehabilitation unterstützen,
• ihn zügig in das Arbeitsleben integrieren und
• den Erhalt des Arbeitsplatzes sichern.
Dabei kooperieren Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Arzt und Krankenkasse (oder ein anderer Rehabilitationsträger). Jeder Beteiligte kann eine stufenweise Wiedereingliederung anregen. Ärzte sollen in geeigneten Fällen auf die Maßnahme hinweisen (§ 74 Satz 1 SGB V).
Ärztliche Bescheinigung: Spätestens nach 6 Wochen bescheinigt der Arzt die weitere Arbeitsunfähigkeit und gibt dabei Art und Umfang einer möglichen Tätigkeit an (§ 74 Satz 2 SGB V).
Das Ziel ist erreicht, wenn der Arbeitnehmer arbeitsfähig ist, seine bisherige oder eine andere geeignete Tätigkeit wieder aufnimmt und das Arbeitsverhältnis erhalten bleibt. Die Rehabilitationsträger sind aufgefordert, aktiv die Voraussetzungen für eine stufenweise Wiedereingliederung zu prüfen und darauf hinzuwirken (§ 44 SGB IX).
Voraussetzungen
Medizinische und ergänzende Leistungen sollen entsprechend der Zielsetzung einer besseren Wiedereingliederung in das Erwerbsleben erbracht werden, wenn arbeitsunfähige Versicherte
• nach ärztlicher Feststellung ihre bisherige Tätigkeit teilweise verrichten können und
• dies durch eine stufenweise Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit voraussichtlich besser gelingen wird (§ 44 SGB IX).
Unter den gleichen Voraussetzungen ist die stufenweise Wiedereingliederung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung geregelt (§ 74 SGB V).
Die Regelungen im SGB IX und SGB V haben gemeinsam, dass der behinderte Mensch
• arbeitsunfähig ist,
• seine bisherige Tätigkeit nur teilweise verrichten kann und
• durch stufenweise Wiederaufnahme dieser Tätigkeit voraussichtlich eine bessere Wiedereingliederungsmöglichkeit erhält.
Ermessen des Leistungsträgers: Die Vorschriften sind Soll-Vorschriften. Die Leistungsträger haben danach nur ein stark eingeschränktes Ermessen und müssen die Normen beachten. Nur im Ausnahmefall ist dem Leistungsträger ein Ermessen eingeräumt. Als Ausnahme kommt z. B. eine atypische Fallgestaltung in Betracht.
Beteiligung des Arbeitgebers
Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen der stufenweisen Wiedereingliederung stets zustimmen. Außerdem muss der Arbeitnehmer arbeitsunfähig sein und darf seine bisherige Tätigkeit nur teilweise verrichten können. Die stufenweise Wiedereingliederung zielt darauf ab, das vorhandene Arbeitsverhältnis zu erhalten. Die Zustimmung des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers ist jeweils freiwillig.
In einem Wiedereingliederungsplan vereinbaren der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, wie die stufenweise Wiederaufnahme ablaufen soll. Der Plan geht vor allem darauf ein,
• mit welchem Zeitaufwand der Arbeitnehmer an die Arbeitsbelastung herangeführt wird,
• in welchen Intervallen die Belastung gesteigert wird und
• welche arbeitsbedingten Belastungen zu vermeiden sind.
Versicherungsrechtliche Folgen
Eingliederung ohne Entgeltzahlung
Während der stufenweisen Wiedereingliederung besteht weiterhin Arbeitsunfähigkeit und der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf Krankengeld. Der Arbeitgeber ist während dieser Zeit – vorbehaltlich anderweitiger vertraglicher Vereinbarungen – nicht zur Entgeltzahlung verpflichtet. Daher sind vom Arbeitgeber in dieser Zeit auch keine Beiträge zu entrichten.
Soweit der Arbeitgeber bereits vor der stufenweisen Wiedereingliederung einen Zuschuss zum Krankengeld gewährt hat, bleibt dessen beitragsrechtliche Beurteilung unverändert.
Eingliederung mit Entgeltzahlung
Zahlt der Arbeitgeber aufgrund der tatsächlich ausgeübten Beschäftigung während der stufenweisen Wiedereingliederung eine (Teil-)Vergütung für die erbrachte Arbeitsleistung, handelt es sich dabei um beitragspflichtiges Arbeitsentgelt. Diese Zahlung gilt nicht als Zuschuss zum Krankengeld. Die Regelungen des § 23c SGB IV kommen beitragsrechtlich für diese Zahlungen nicht zur Anwendung. Der versicherungsrechtliche Status des arbeitsunfähigen Arbeitnehmers bleibt unverändert.
Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)
Die stufenweise Wiedereingliederung wird im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements vereinbart. Die Vorschrift gilt für alle Arbeitnehmer und ist nicht auf behinderte Menschen beschränkt (BAG, Urteil v. 12.7.2007, 2 AZR 716/06). Es ist durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig ist.
Bei schwerbehinderten Arbeitnehmern greift das Prinzip der Freiwilligkeit ebenfalls nicht. Den Arbeitgeber trifft vielmehr eine Mitwirkungspflicht, personenbedingte Schwierigkeiten durch eine Wiedereingliederung zu beseitigen, um das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft fortsetzen zu können (BAG, Urteil v. 16.5.2019, 8 AZR 530/17). Der Arbeitgeber hat ggf. zu begründen, warum eine stufenweise Wiedereingliederung nicht möglich ist.
Indikationen, Dauer
Grundsätzlich kann nach jeder schweren oder chronischen Erkrankung eine stufenweise Wiedereingliederung angebracht sein. Als Indikation kommen vor allem
• Krankheiten des Herzens und der Gefäße,
• rheumatische Erkrankungen und Arthrosen,
• Krankheiten und Zustand nach Operationen an Rücken und Gelenken, Atmungsorganen, Verdauungsorganen oder Nieren und Harnwegsorganen,
• Stoffwechselkrankheiten,
• neurologische Krankheiten,
• Krebserkrankungen oder
• psychische Erkrankungen
in Betracht.
Die Dauer richtet sich nach den medizinischen und betrieblichen Bedingungen und kann zwischen 6 Wochen und 6 Monaten liegen.
Stufenplan
Die stufenweise Wiedereingliederung kann von einer Rehabilitationseinrichtung, der Krankenkasse oder anderen Stellen angeregt werden (z.B vom Arbeitgeber). Über die Maßnahme wird ein Stufenplan erstellt, dem der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zustimmen müssen.
Der Stufenplan enthält insbesondere
• Beginn und Ende der Maßnahme,
• Einzelheiten über die verschiedenen Stufen,
• ein Rücktrittsrecht vor dem vereinbarten Ende,
• Gründe für einen Abbruch,
• Ruhen von Bestimmungen im Arbeitsvertrag während der Dauer der stufenweisen Wiedereingliederung und
• Höhe eines eventuellen Arbeitsentgeltes.
Der Stufenplan ist fortzuschreiben, wenn sich die Verhältnisse ändern.
Leistungen
Krankengeld
Wenn der Arbeitnehmer krankenversichert und arbeitsunfähig und der Anspruch noch nicht erschöpft ist, leistet die Krankenkasse während der Wiedereingliederung Krankengeld. Der Anspruch auf Krankengeld ruht, wenn der Rentenversicherungsträger vorrangig zuständig ist und Übergangsgeld zahlt (§ 49 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 SGB V). Das Krankengeld ruht dann in voller Höhe. Ein Krankengeld-Spitzbetrag wird nicht gezahlt.
Arbeitgeberleistungen werden unabhängig von ihrer Art (Zuschuss oder Arbeitsentgelt) leistungsrechtlich gleich behandelt. Eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers wird auf das Krankengeld angerechnet, wenn das Arbeitsentgelt und Krankengeld zusammen das Netto-Arbeitsentgelt um nicht mehr als 50 EUR im Monat überschreiten (§ 23c Abs. 1 Satz 1 SGB IV).
Übergangsgeld
Wenn die stufenweise Wiedereingliederung spätestens 4 Wochen nach einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation durch den Rentenversicherungsträger beginnt und von der Rehabilitationseinrichtung angeregt wurde, zahlt der Rentenversicherungsträger Übergangsgeld. Die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Rehabilitation sind dafür zu erfüllen (§§ 10, 11 SGB VI, BSG, Urteil v. 29.1.2008, B 5a/5 R 26/07 R).
Der Anspruch auf Krankengeld ruht in dieser Zeit in voller Höhe.
Fahrtkosten
Fahrtkosten zur Arbeitsstelle werden nicht erstattet (BSG, Urteil v. 16.5.2024, B 1 KR 7/23 R). Dafür fehlt es an einem Zusammenhang der Fahrten mit einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation. Die in § 74 SGB V genannte stufenweise Wiedereingliederung ist keine Leistung zur medizinischen Reha. Sie bezweckt die Wiedereingliederung arbeitsunfähiger Versicherter in das Erwerbsleben. Die stufenweise Wiedereingliederung als Instrument zur Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit findet am Arbeitsplatz im Betrieb des Arbeitgebers in einem vom Arbeitsvertrag losgelösten Wiedereingliederungsverhältnis statt. Dem arbeits- und sozialrechtlich weiterhin arbeitsunfähigen Arbeitnehmer soll die Wiederaufnahme seiner Beschäftigung an seinem Arbeitsplatz in reduziertem Umfang ermöglicht werden.
Verfahren
Die Rehabilitationseinrichtung oder der behandelnde Arzt beurteilt, ob eine stufenweise Wiedereingliederung notwendig ist und leitet diese ein. Dazu ist Einvernehmen mit dem Arbeitgeber und dem Versicherten herzustellen, die der Maßnahme zuzustimmen haben. Alternativ dazu kann die Krankenkasse innerhalb von 14 Tagen nach der Entlassung aus der Rehabilitationseinrichtung eine stufenweise Wiedereingliederung beim Rentenversicherungsträger anregen.
Bedarf es längerer Zeit, die Zuständigkeit der Kranken- oder Rentenversicherung zu klären, erhält der Versicherte von der Krankenkasse einen Vorschuss in Höhe des Übergangsgeldes.
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